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Barock und Rokoko
Erschienen in:
Die Barock- und Rokokokirche – Der himmlische Audienz- und Thronsaal Gottes
Historischer Hintergrund
Die Stilepochen des Barock und des Rokoko umfassen die Zeitspanne zwischen dem späten 16. Jh. und der Mitte des 18. Jhs., des Zeitalters des Absolutismus. Die Könige und Herrscher in fast ganz Europa genießen uneingeschränkte Macht, an ihren Höfen geht es nun eleganter und kultivierter, höfischer zu, man wetteifert gegeneinander, um sich zu präsentieren und seinen Einfluss und seine Macht zu demonstrieren.
Noch im 16. Jh. kommt es zu einigen Abspaltungen von der katholischen Kirche. So spalteten Luther die Kirche in Deutschland, Calvin und Zwingli die Kirche in der Schweiz und König Heinrich VIII. die Kirche von England. Unter Papst Paul III. wurde das Konzil von Trient (1545–1563) einberufen und damit die sogenannte Gegenreformation eingeläutet. Der Verlust katholischer Gebiete an den Protestantismus und der Schaden für die katholische Kirche insgesamt waren erheblich. Auch waren in der Zeit der Renaissance an einigen Orten Missbräuche in Liturgie und Disziplin sowie ein unwürdiger Lebenswandel einiger Kirchenfürsten zu verzeichnen gewesen. Das Konzil von Trient sollte für die Wiederherstellung von Ordnung, Disziplin und Klarheit in allen Bereichen des kirchlich-katholischen Lebens sorgen.
Die Anfänge in Rom
Die Wende von der Renaissance zum Barock vollzog sich wie die Gegenreformation von Rom aus. Wie der Begriff „Gotik“ wurde auch der Begriff „Barock“ (vom portugiesischen barocco = „schiefrunde, geschwungene Perle“ kommend) zunächst in verächtlichem und negativem Sinne gebraucht. Erst im 19. Jh. bezeichnete man rückblickend die Epoche zwischen der Renaissance und dem Klassizismus im positiven Sinne als Epoche des Barock. Über Jahrzehnte hinweg waren es zunächst römische Künstler, die den neuen sensualistischen Baustil in die Welt trugen. Treibende Kraft der künstlerischen Erneuerung waren, wie schon zu Zeiten Raffaels, Bramantes und Michelangelos, die Päpste und der sie umgebende Hofstaat des Vatikan. Vor allem die Päpste Sixtus V., Paul V. sowie Urban VIII. gaben der Stadt Rom ein „barockes Gesicht“, ließen die großen städtebaulichen Achsen von Rom anlegen und veranlassten den Um- bzw. Neubau von vielen Kirchen und Palästen.
Die Barockkunst, im Grunde ihres Wesens eine katholische Kunst, wandelte, als sie das Erbe der Renaissanceformen antrat, ein intellektuelles Schema (Architektur der Renaissance) in eine emotionale Erfahrung (Architektur des Barock) um. Wo Renaissancekirchen (Florenz, Toskana) Klarheit, Ordnung und klare Linien verkörpert hatten, machten sich die sakralen Barockbauten jede Möglichkeit zunutze, die Kunst und Illusion zu bieten hatten, um den Beschauer in eine visionäre Welt zu versetzen, in der der Himmel offen war, Heilige herabstiegen und die heiligen Mysterien in lebensnahen Gemälden und Skulpturen konkrete Gestalt annahmen. Man kann sagen, die Intension barocker Kunst war universal-transzendental, d. h., sie verherrlichte im Sichtbaren das Unsichtbare. Die Trennung der einzelnen Kunstdisziplinen wie Malerei, Skulptur und Architektur, die für die Künstler der Renaissance noch bestimmend war, wurde im Barock ganz absichtlich elegant überspielt durch verknüpfte Übergänge an der Architektur selbst.
Im Laufe des späteren 17. Jhs. breitete sich der Barockstil dann vor allem durch die Gegenreformation und die Jesuiten über ganz Italien aus und bildete auf Sizilien, in Venedig und Piemont einige regionale Sonderformen aus. Anfang des 18. Jhs. wurde er schließlich in Spanien, Deutschland wie überhaupt Mitteleuropa begeistert aufgegriffen.
Eine ganz besondere Bedeutung kam der Kirche Il Gesu in Rom zu. Die Mutterkirche des vom hl. Ignatius von Loyola gegründeten und von Papst Paul III. bestätigten Jesuitenordens wurde zum Prototyp (Vorbild) des neuen, römischen Barockstils. Mit der Verbreitung der Jesuiten und der Umsetzung der Beschlüsse des Konzils von Trient in der Gegenreformation verbreiteten sich auch die „Jesuitenkirchen“ und deren römischer Stil in ganz Europa. Giacomo Barozzi da Vignola hatte mit der Kirche Il Gesu (1568–1584) einen Kirchenraum geschaffen, der vollkommen den Vorstellungen des Konzils von Trient entsprach: einen kompakten einschiffigen Bau mit tonnengewölbtem Langhaus, Vierungskuppel, Kapellen bzw. Altären links und rechts an den Seiten der Kirche und kaum ausladenden Kreuzarmen. So konnte die Kirche eine große Zahl von Gläubigen aufnehmen, die das Geschehen am Haupthochaltar von fast allen Punkten der Kirche aus mitverfolgen konnten.
Erscheinung und Stil
Wie bereits erwähnt waren die Kirchbauten der Renaissance von klaren und strengen Linien (Kreis, Quadrat, Rechteck) sowie von Ordnung und Klarheit geprägt, der neue Barockstil dagegen von Übergängen der einzelnen Kunstdisziplinen (Malerei, Skulptur) an der Architektur und von geschwungenen Linien. Die Grundrisse von Barock- und Rokokokirchen werden in der folgenden Entwicklung dann oval, ellipsenförmig, sternförmig. Es wird im Barock nun der Effekt, ja, man könnte sagen, das Theatralische gesucht (theatrum sacrum). Das barocke Kirchengebäude soll wie die barocken Schlösser der weltlichen Könige das Herrscherhaus des himmlischen Königs repräsentieren. Der prunkvolle barocke Kirchenraum soll die Betrachtenden überwältigen. Die mit zahlreichen Skulpturen von Engeln und Heiligen geschmückte Kirche wird zu einem himmlischen Audienz- und Thronsaal Gottes. Die Innenraumgestaltung wird noch gesteigert durch plastische Stuckarbeiten und herrliche Säulen aus Marmor (oder Stuckmarmor) mit vergoldeten Kapitellen. Ein gezielt herbeigeführter Lichteinfall durch mehrere Lichtquellen und Spiegelungen sowie reiche Vergoldungen (Gold = die Farbe des Himmlischen) entrücken den Betrachtenden in die himmlische Welt. Gewölbe und Kuppeln öffnen sich durch eine helle, illusionistische Bemalung scheinbar in unendliche Höhen und Tiefen und geben ebenso geschickt inszenierten biblischen Geschehnissen Raum. Flache Decken täuschen durch perspektivische Verkürzungen barocker Illusionsmalerei unendliche Höhe vor. Alles scheint ineinander zu fließen, Himmel und Erde gehen ineinander über. Besonders eindrucksvoll ist die herrliche Decke des Malers und Laienbruders der Jesuiten Andrea Pozzo (1642–1709) in der römischen Kirche Sant’Ignazio di Loyola, an der er die damals schon „weltweite“ Missionstätigkeit des Jesuitenordens aufleben ließ. Ein besonderes Kennzeichen des Barock ist seine strenge Symmetrie in der Anordnung von Bauteilen und Gegenständen: Säulen, Pfeiler, Treppenanlagen, sodass alles ein harmonisches „Ganzes“ bildet. (Das schönste Treppenhaus der Welt befindet sich in Schloss Augustusburg in Brühl bei Bonn (1741–1744), der Rokokoresidenz des Fürsterzbischofs von Köln.)
Besondere Erwähnung verdient in der Barockzeit die Mimik und Gestik der Personendarstellungen: Pathos, Verzückung und Erregung werden Hauptkennzeichen der Skulpturen des Barock. Die Heiligenfiguren haben meist einen verklärten, zum Himmel gerichteten Blick. Den Künstlern kommt es auf Ausdruck und Bewegung an. Gefühle und Empfindungen sollen ganz klar erkennbar hervortreten und ersichtlich sein. Verdeckte Lichtquellen beleuchten oft Wichtiges, heben es hervor und werfen zugleich so starke Schatten, dass die Figuren und Gegenstände vollplastisch erscheinen (vgl. z. B. das Meisterwerk Berninis, die Verzückung der hl. Theresa [von Avila], in Santa Maria della Vittoria in Rom). Fließende Übergänge von der Architektur über die Stuckplastik (Engel oder andere Skulptur) zur Deckenmalerei sind besonders beliebt. Barocke Künstler scheuten sich nicht, einer gemalten Engelsfigur ein holzgeschnitztes, farbig angepasstes Beinchen anzufügen und von der Decke herabhängen zu lassen.
Die barocken Hochaltäre entwickeln sich zu mehrstöckigen Architekturbauten mit Säulen, die über die gesamte Höhe reichen. Auf den verschiedenen Ebenen scheinen lebensgroße Heiligen-, Märtyrer- und Engelsfiguren wie in einem heiligen Mysterienspiel zu agieren. Sehr beliebt sind Darstellungen des Marienlebens, vor allem der Tod Mariens und ihre Himmelfahrt – besonders beeindruckend zu sehen von den Gebrüdern Asam (1723) in der Kirche des Chorherrenstiftes Rohr in Bayern sowie am Beispiel des Marienaltars (rechter Seitenaltar in der Vierung) in der Wallfahrtskirche von Walldürn (Odenwald).
Ebenfalls erwähnenswert ist eine heute fast vergessene Form der theatralischen Inszenierung biblischen Geschehens in den Barockaltären, die sogenannten Mysterienbühnen, die in den Barockaltar eingebaut waren. Vor einem beweglichen Altarbild wurde in der Passionszeit die kulissenartige Bühne für Szenen der Passion geöffnet. Meist wurden die Szenen „Christus am Ölberg“, die Kreuzigung und an Ostern die Auferstehung dargestellt. Mechanische Vorrichtungen ermöglichten es, die überlebensgroßen Figuren zu bewegen und sie handeln zu lassen.
Das Rokoko (ca. 1730–1770)
Als „Rokoko“ bezeichnet man die Spätphase des Barock. Das Rokoko ist vorwiegend ein Innenraum-Dekorationsstil, dessen Hauptmerkmal nicht die Symmetrie, sondern ihr Gegenteil, die Asymmetrie ist. Der Name „Rokoko“ stammt von dem französischen Wort rocaille her und bezeichnet ein muschelartiges, asymmetrisches Ornament (aus Stuck und oftmals vergoldetem Holz), mit dem man häufig Bilder und Wandflächen bzw. die Decke begrenzte. Das Rokoko wirkt auf viele Menschen unserer Zeit als „überladen“. Zunächst kam das Rokoko in der Schlossarchitektur (erstmals bei der Amalienburg, Schloss Nymphenburg in München) zur Anwendung, doch schon bald erfasste der Dekorationsstil auch den Sakralbau. Die bekanntesten Rokokokirchen in Süddeutschland sind die Wallfahrtskirchen in Birnau am Bodensee (1747–1749), St. Peter und Paul in Steinhausen in Oberschwaben (1729–1733, oft als „prächtigste Dorfkirche der Welt“ bezeichnet), die Wieskirche Zum leidenden Heiland (ab 1743) im Allgäu sowie die bekannte Wallfahrtskirche von Vierzehnheiligen (1743–1772) bei Bamberg.
Barock, Rokoko und die Gegenreformation
Wie kam es nun dazu, dass man gerade in der kämpferischen Zeit der Gegenreformation diese herrlichen und himmlisch-glanzvollen Prachtkirchen baute?
Neben der Absicht, Gott nur das Schönste und Edelste darbieten zu wollen, war es auch Ziel der Gegenreformation, dem Menschen bei seinem Ringen um die Schätze des Himmels den Weg zu weisen, indem man versuchte, die Glaubenswahrheiten durch die herrlichen Darstellungen stofflich so zu arrangieren, dass sie die Wahrheit enthüllten und den Menschen schon hier auf Erden den Himmel erahnen ließen.
Während der Protestantismus vorwiegend an die Vernunft (ratio) appellierte und aufgrund seiner Ablehnung von Marien-, Heiligen-, Engel- und Reliquienverehrung keinerlei oder nur wenig Ausschmückung seiner Kirchen zuließ, sah die katholische Kirche den Menschen schon immer in seiner „Ganzheit“ als Wesen mit Leib und Seele. Danach verstand der Mensch das Göttliche nicht nur durch das bloße Hören der Predigt, wie es das Sola-Scriptura-Prinzip (die Hl. Schrift als alleinige Offenbarungsquelle) der Protestanten nahelegte, sondern auch durch die äußere Wahrnehmung seiner Sinne.
Nach katholischer Auffassung konnte ein nur rein verstandesmäßiges Erscheinungsbild der Religion bzw. der Offenbarung den Menschen innerlich nicht befriedigen. Der Mensch strebe folglich danach, das Göttliche auch mit seinen Sinnen zu erfassen und zu erfahren. Nun ist nach katholischem Verständnis das Zentrum der Kirche die hl. Messe, in welcher Himmel und Erde aufeinandertreffen, der Gottmensch Jesus Christus vom Himmel auf den Altar herabkommt und in der gewandelten Hostie wahrhaft mit Gottheit und Menschheit, mit Fleisch und Blut, gegenwärtig ist. Stellen wir uns nun das Geschehen der hl. Messe in einer solchen prachtvollen Barockkirche vor: Da gibt es in der katholischen Liturgie wohlduftenden Weihrauch für die Nase, feierlichen Gesang (Gregorianischer Choral) und Instrumentalmusik (Orgel) für die Ohren und prachtvolle Gewänder, edle liturgische Geräte und einen erhabenen Ritus für die Augen.
Der Gottesdienst auf Erden gilt als das Abbild der himmlischen Liturgie. So wird durch die katholische Liturgie der „ganze Mensch“ mit all seinen Sinnen angesprochen und nicht nur rational durch das Hören des Wortes Gottes allein. Diese Tatsache machte man sich besonders in der Zeit des Barock zunutze. So wurden viele Menschen – auch Protestanten – durch das „Sehen“ bei der Teilnahme an einer katholischen Messe bekehrt und sozusagen „gegenreformiert“.