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Christliche Architektur

Erschienen in:
DGW-2013-2-Die-katholische-Reaktion

Der katholische Kirchenbau und seine Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart

In den vergangenen 12 bzw. 13 Ausgaben des DGW haben wir uns mit dem Werden des christlichen Sakralbaus/Kirchenbaus und seiner Entwicklung in verschiedene Stilrichtungen im Laufe der Jahrhunderte auseinandergesetzt. Zum Abschluss der Reihe „Christliche Architektur“ möchte ich die einzelnen Stationen noch einmal in Erinnerung bringen und zusammenfassen.

 

1.) Die „Hauskirche“ domus ecclesia von Dura Europos (233 n. Chr.)

In den ersten 300 Jahren gab es noch keine Kirchbauten. Das Christentum war noch nicht als Religion anerkannt und hatte keinen juristischen Status, die Gemeinden konnten deshalb nicht Eigentümer von Gebäuden und Land sein, zudem wurden die Christen in den ersten 300 Jahren verfolgt und mussten sich meist an geheimen Orten versammeln (Hauskirchen, Katakomben). In apostolischer und nachapostolischer Zeit versammelten sich die ersten Christen in Privathäusern bzw. in „Hauskirchen“, die meist von einem Gemeindemitglied zur Verfügung gestellt wurden. Die älteste archäologisch nachgewiesene „Hauskirche“ wurde 1932 im Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Irak bei Ausgrabungen in Dura Europos am Euphrat entdeckt. Es handelte sich um ein gewöhnliches quadratisches Wohnhaus mit Räumen, die sich auf einen Innenhof öffneten. Der Bau lässt sich durch eine in den weichen Putz geritzte Inschrift etwa auf 231–233 n. Chr. datieren. Die Gemeinde umfasste wohl ca. 50 bis 60 Personen. Die „Hauskirche“ hatte mehrere kleine Räume, darunter ein Raum mit Becken (Baptisterium) und einen größeren Raum als Versammlungsraum (13×5 m), der nach Osten leicht erhöht ausgerichtet war (Altar). In vielen Völkern war und ist es Sitte, sich zum Gebet nach Osten, zur aufgehenden Sonne (Symbol für den wiederkehrenden Christus) hin auszurichten. So finden wir auch schon im Alten Testament im Buch Ezechiel einen Hinweis auf Osten: „Dann führte er mich zu dem Tor, das nach Osten gerichtet ist. Und siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israels kam vom Osten her“ (Ezechiel 43,1).

2.) Die frühchristliche römische Basilika (ca. 2. Hälfte des 4. Jh. n. Chr.)

Durch das Toleranzedikt von Mailand durch Kaiser Konstantin im Jahre 313 wurde das Christentum als Religion anerkannt und im Jahre 391 von Kaiser Theodosius zur Staatsreligion erhoben. Damit wurde es nun möglich, auch öffentliche Kulträume / Sakralbauten zu errichten. Die römische Basilika, als Thronhalle für den Kaiser, Markt- oder Gerichtsstätte bekannt, entsprach mit ihrem überhöhten rechteckigen Mittelschiff und raumgebenden umlaufenden Seitenschiffen den Anforderungen für den Kult und die Prozessionen der christlichen Gemeinden in idealer Weise. Das lang gestreckte rechteckige Langhaus war durch Säulen in zwei oder mehr Seitenschiffe geteilt. Es war etwa doppelt so hoch und breit wie die Seitenschiffe und mündete im Osten in eine halbrunde, damals noch fensterlose Ausbuchtung, die Apsis. Das war der für die Geistlichkeit vorbehaltene Raum. In der Mitte der Apsis der Basilika stand nun nicht mehr der Thron des Kaisers, sondern der Altar für Christus und an der Apsiswand ganz hinten mittig die Cathedra des Zelebranten bzw. des Bischofs. Die Zelebration war ebenfalls stets nach Osten ausgerichtet, der aufgehenden Sonne zu. Der steinerne Altar in der Mitte vor der Cathedra war um einige Stufen vom Normalniveau der Kirche erhöht, bekrönt von einem Baldachin auf vier Säulen. Diese Erhöhung des Altares und der Baldachin unterstrichen die erhabene Bedeutung des Altares. In Rom selbst befindet sich unter dem Altar meist ein Märtyrergrab, oftmals mit Apostelreliquien – so in St. Paul vor den Mauern (324 erstmals geweiht, 395 durch einen Nachfolgebau ersetzt) die des hl. Apostels Paulus. St. Peter im Vatikan und die Lateranbasilika (Bischofskirche von Rom) waren bis ins 16./17. Jh. ebenfalls mehrschiffige Basiliken, so wie sich St. Paul vor den Mauern uns heute noch zeigt.

 

 

3.) Die oströmisch-byzantinische Kreuzkuppelkirche (6. Jh. n. Chr. bis heute)

Im Oströmischen Reich, d. h. in seiner Hauptstadt Konstantinopel (später Byzanz, heute Istanbul) sowie in Norditalien (in der Gegend von Ravenna und Venedig), entwickelte sich parallel zum frühchristlich römischen Basilikalbau der byzantinische Baustil, der den Kuppelbau zum führenden Thema machte. Im Osten prägt diese Bauform bis heute die Kirchenbaukunst Griechenlands, Russlands und die des Balkans. Der Baustil ist uns heute vor allem unter der Bezeichnung „orthodoxe Kirche“ bekannt. Als Grundformen kommen seit der Zeit Kaiser Justinians des Großen (527–565) in erster Linie Kuppelbauten mit rundem bzw. kreuzförmigem (Griechisches Kreuz mit gleich langen Armen) Grundriss vor. Ihr wichtigstes Bauglied ist die Kuppel. Sie wurde meist über einem kreisförmigen Grundriss oder auch über einem Quadrat errichtet. Das große Vorbild und Vorlage für spätere Bauten von Kreuzkuppelkirchen war die große Kuppelbasilika Hagia Sophia („Heilige Weisheit“) in Konstantinopel. Unter Kaiser Justinian war sie die größte und höchste Kirche der Christenheit. Nach der Eroberung der Stadt durch die Türken im Jahre 1453 wurde sie in eine Moschee umgewandelt und mit Minaretten versehen. Heute ist sie ein Museum. Meist gibt es im griechischen Raum nur eine Kuppel, in Russland dagegen bis zu 13 Kuppeln. Eine große Kuppel in der Mitte und vier Kuppeln ringsum bedeuten „Christus und die vier Evangelisten“. Eine Kuppel in der Mitte und zwölf kleine ringsum verteilt: „Christus und die zwölf Apostel“. Zum Inneren der byzantinischen Kirchen ließe sich noch vieles ausführen, vor allem über die Symbolik des gesamten Innenraumes, der Abbild des gesamten Kosmos sein soll (siehe dazu DGW, Nr. 4/2010).

4.) Die romanische Kirche, Burg und Festung Gottes (Romanik 800–1250)

Die Romanik war der erste länderübergreifende, gesamteuropäische Architekturstil im christlichen Abendland. Geografisch erstreckte sich die „romanische Welt“ von Skandinavien und Island bis nach Sizilien, vom Atlantik bis zur Weichsel (Polen) und Siebenbürgen (Rumänien). Geeint war das ganze Gebiet durch die lateinische Sprache und die römische Kirche. Um das Jahr 1000 wuchs eine Fülle von Kirchen und Kathedralen in allen Ländern Europas empor. Besonders gefördert und weiterentwickelt wurde die Architektur in der Spätromanik von den Orden und Klöstern. Besonders erwähnenswert sind die Orden der Benediktiner (Kloster Cluny in Burgund, damals das größte Kloster der Welt) sowie der Orden der Zisterzienser. Die Werke der romanischen Kunst sind fast ausschließlich Werke der kirchlichen Kunst (Taufbecken, Kruzifixe, Fresken im Inneren der Kirchen), die Bauten fast alle Sakralarchitektur. Wie der Name „Romanik“ schon verrät, hielt man am Grundriss der dreischiffigen römischen Basiliken fest und übernahm vor allem römische Elemente wie Säulen und Friese sowie eine sehr massive, burgähnlich dicke Bauweise der Mauern. Romanische Kirchen sind stets geostet, zeigen also mit der Apsis gen Osten. Das typisch romanische Element ist der Rundbogen: Rundbogenfenster, Rundbogenportale, Rundbogenfries usw. Ebenfalls sehr typisch sind die Würfelkapitelle an den oberen Säulenabschlüssen, der Stützenwechsel, d. h., es wechseln sich Säulen und Pfeiler ab, stumpfe, flächige Sattel- und Faltdächer sowie unter dem Altarraum der Kathedralen die oftmals sehr schönen Krypten. Besonders sehenswerte und schöne romanische Sakralbauten in Deutschland sind die Dome zu Mainz, Worms, Speyer, Essen und Bamberg sowie das Kloster Maria Laach. Inspiriert vom Dom in Speyer sind die Dome in Viborg in Dänemark, Bergen in Norwegen und Lund in Südschweden.

 

5.) Die Stabkirche, katholisches Phänomen des Nordens (11. Jh. n. Chr. – ca. 1537)

Von der Romanik geprägt, aber eben nicht in Stein, sondern in Holz, waren die Kirchen im Norden Europas, besonders in Skandinavien und Island. Der Typus der Stabkirche entstand am Anfang des 11. Jh. in Süd- und Mittelnorwegen, als in Skandinavien das Christentum nach einer zweihundertjährigen Missionszeit endgültig Fuß gefasst hatte. Die Impulse der Mission kamen vor allem aus England und Deutschland (hl. Ansgar † 865, Erzbischof von Hamburg und Bremen). Die Bauweise der Stabkirchen nahm eine eigenständige Entwicklung mit deutlicher Anlehnung an den Schiffbau der Wikinger. Die Kenntnisse aus dem Schiffbau halfen, sehr hohe Dachstühle zu entwickeln, von denen aus Licht in die Kirche kam, weil im unteren Bereich meist nur kleine oder gar keine Fenster vorhanden waren. Die Kirchen wurden ganz ohne Metallnägel oder Metallbolzen gebaut, alles entstand aus massivem Kiefernholz. Die Stabkirchen wurden im Baukastensystem zusammengesetzt.

Auf einem Steinfundament liegt ein Rahmen aus schweren Holzbalken. Solide Eckpfosten und Pfeiler (Stäbe, Masten) wurden in geschickter Klammertechnik mit dem Rahmen verzahnt, Bretter im Nut-und Feder-Prinzip füllen die Zwischenräume aus. Andreaskreuze stützen das Gebälk ab und geben den Wänden Stabilität. Die ganze Konstruktion ruht im Wesentlichen auf den Stäben, die im Mittelschiff in die Höhe ragen (1, 4, 8, 12 oder 20 Stäbe). Der Eingang der Stabkirche ist im Westen, der Altarraum zeigt nach Osten. Auch hier finden wir wieder die Ostung in der Architektur. Der Priester zelebrierte also auch hier zur aufgehenden Sonne hin.

In den Jahren zwischen 1150 bis 1350 wurden in ganz Norwegen ca. 2000 Stabkirchen errichtet. Dies war aufgrund der dünnen Besiedlung des Landes eine enorme Leistung, denn es bedeutete, dass pro Jahr ca. 10 Kirchen gebaut wurden. Heute benötigt man für die Reproduktion einer Stabkirche oft mehrere Jahre. Man geht heute davon aus, dass eine größere Stabkirche aus ca. 2000 Einzelteilen besteht, die unzähligen Dachschindeln nicht mitgerechnet. Nach der Reformation im Jahre 1537 wurden in Norwegen keine Stabkirchen mehr gebaut. In späteren Zeiten wurden sie durch Steinbauten ersetzt, verfielen oder wurden durch Kriege zerstört. So kann man sagen, dass die Stabkirchen ein katholisches Phänomen des Nordens sind. Die berühmteste und eine der schönsten Stabkirchen Skandinaviens ist die Stabkirche in Borgund (Norwegen) aus dem Jahre 1150. In Norwegen gibt es heute noch 28, in Schweden 5 neue, nachgebaute Stabkirchen; in Island eine nachgebaute aus dem Jahre 2000.

 

6.) Die gotische Kirche, das himmlische Jerusalem (Gotik 1250–1500)

Die Gotik war der erste Baustil, der jenseits der Alpen entstand. Der Ursprung der Gotik liegt in Frankreich, in der Île-de-France, der Gegend um Paris. Als erste gotische Kirche kann man die Grabeskirche der französischen Könige, St. Denis bei Paris, ansehen. Als geistige Grundlage der Mystik und der Architektur der Gotik diente die Hl. Schrift selbst, besonders die Geheime Offenbarung des Johannes sowie das Buch Tobit. Der neue Baustil breitete sich allmählich von Westen nach Osten aus, ganz im Gegensatz zur Romanik, die von Süden aus in den Norden drang und Erbin des römischen Baustils war. Der Kirchengrundriss veränderte sich meist nur wenig. In der Gotik bekamen die Kathedralen im Chorraum meist noch einen Chorumgang dazu, sodass man von dort aus zu den Kapellen gelangen und den Hauptchor umschreiten konnte, vor allem bei Prozessionen oder Wallfahrten. Die Böden wurden mit Marmor ausgelegt – „Mit weißem und reinem Marmor werden all ihre Straßen gepflastert sein“ (Tob 13,22); die Pfeiler mit den Statuen der zwölf Apostel versehen, Apostelkreuze bzw. -leuchter an den Wänden angebracht – „Den Sieger will ich zur Säule im Tempel meines Gottes machen“ (Offb 3,12). Die meterdicken Mauern und eher gedrungenen Türme der Romanik wichen hohen feingliedrigen Türmen, die oft „durchbrochen“ und mit Maßwerk verziert wurden. An der Spitze enden sie in einer sogenannten Kreuzblume und seitlich sind sie oftmals von kleinem Blattwerk, „Krabben“ genannt, besetzt. Aus der Massivbauweise der Romanik wurde in der Gotik eine Skelettbauweise. Alles wurde himmelstrebender, höher, feiner und filigraner. Es blieb nur das Nötigste für die Statik stehen. Verwendete man bisher nur einfaches durchsichtiges Glas für eher kleine Fenster, so wurden die großen hochragenden Wände der Gotik durch hohe, herrlich bunte Glasfenster ersetzt – „Die Pforten Jerusalems werden von Saphir und Smaragd gebaut werden und aus Edelsteinen ringsum ihre Mauern“ (Tob 13,17). Der Rundbogen der Romanik wurde durch den Spitzbogen ersetzt, das Kreuzgratgewölbe durch das Rippengewölbe mit Schlussstein. Ebenso wurden aus den Rundbogenportalen an den Eingängen der Kirchen nun Spitzbogenportale, die mit vielen sogenannten Gewändefiguren verziert wurden. Allein in Chartres zählt man an allen Portalen an die 2000 Gewändefiguren: „Ich sah eine offene Tür im Himmel“ (Offb 4,1) – „Ich bin die Tür, wer durch mich eingeht, wird gerettet werden“ (Joh 10,9).

 

Die Gotik verbreitete sich in fast allen europäischen Ländern, besonders in Frankreich und Deutschland, später auch vor allem in England. Als erste gotische Kirche in Deutschland könnte man die St. Elisabethkirche in Marburg (1234 begonnen) bezeichnen. In Italien fand der Stil der Gotik nur im Norden, im Raum Venetien, Zustimmung, und dort mehr in der Profanarchitektur als im Kirchenbau. In Rom empfand man die Gotik eher als „Stil der Barbaren“, und so gibt es unter den vielen Kirchen Roms nur eine einzige original gotische Kirche, St. Maria sopra Minerva mit dem Grab der hl. Katharina von Siena in der Nähe des Pantheons. Berühmte gotische Kirchen sind die Dome in Köln, Regensburg, der Stephansdom in Wien (mehr zur Symbolik, zum „himmlischen Jerusalem“ siehe DGW, Nr. 3/2011).

7.) Der Kirchenbau der Renaissance (1420–1600)

Die Renaissance begann in Italien, zuerst in Florenz, später unter der Förderung der Päpste in Rom im frühen 15. Jh., und der Architektur fiel dabei eine Schlüsselrolle zu. 1414 war die im Jahre 23 v. Chr. verfasste Schrift De architectura des römischen Architekten Vitruv wiederentdeckt worden – zehn Bücher über die antike Baukunst. Die Architekten begeisterten sich nun wieder für die Baukunst der römischen und griechischen Antike. Vorbilder der Renaissance („Wiedergeburt“ der Antike) waren die antiken horizontalen Gliederungen der Bauelemente. Der Rundbogen, die Gliederung durch Gesimse, Obelisken, Pilaster (aus der Wand hervortretende Pfeiler), Voluten (Schnecken), Nischen mit oder ohne Skulpturen (meist ohne) und selbstverständlich die berühmten überlieferten Säulenordnungen der antiken Tempel: dorisch, ionisch, korinthisch. Typisch für die Renaissance und sehr leicht zu erkennen sind die Fensterbekrönungen, die entweder einen Dreiecksgiebel oder einen halbrunden, gestreckten Segmentgiebel aufweisen. Als Ideal betrachtete man den Zentralbau, im Kirchenbau das griechische Kreuz als Grundriss und mittig eine Kuppel (St. Peter in Rom). Später, unter dem Architekten Maderno, wurde St. Peter um drei Joche verlängert und aus dem griechischen Kreuz wieder ein lateinisches.

8.) Barock und Rokoko, der himmlische Thronsaal Gottes (ca. 1600–1770)

Die Wende von der Renaissance zum Barock vollzog sich von Rom aus. Die Barockarchitektur, ihrem Wesen nach eine katholische Kunst, wandelte, als sie das Erbe der Renaissanceformen antrat, ein intellektuelles Schema (Renaissance) in eine emotionale Erfahrung (Barock) um. Hatten die Renaissancebauten Klarheit, Ordnung, strenge Linien und eine gewisse elegante Schlichtheit verkörpert, so machten sich die Architekten der sakralen Barockbauten jede Möglichkeit zunutze, die Kunst und Illusion zu bieten hatten, um den Besucher in eine visionäre Welt zu versetzen, in der der Himmel offen war, Heilige herabstiegen und die heiligen Mysterien in lebensnahen Gemälden und Skulpturen konkrete Gestalt annahmen. Die Barockkunst verherrlichte im Sichtbaren das Unsichtbare.

 

War die Architektur der Renaissance eher von ratio („Vernunft“) geprägt, drückt die Architektur des Barock eher Pracht, Sinnlichkeit und Emotion aus. Im Laufe des 17. Jh. breitete sich der Barockstil vor allem durch die Gegenreformation und die Jesuiten über ganz Europa aus. Anfang des 18. Jh. wurde er schließlich in ganz Europa begeistert aufgegriffen. Die Grundrisse von Barockkirchen werden in der Entwicklung unter anderem oval, ellipsen- (Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen in Franken) und sternförmig. Das barocke Kirchengebäude soll – wie die barocken Schlösser der weltlichen Könige – das Herrscherhaus des himmlischen Königs repräsentieren. Die Kirche soll ein himmlischer Audienz- und Thronsaal Gottes sein. Als Rokoko bezeichnet man die Spätphase des Barock ab ca. 1730. Besonders interessant und erwähnenswert ist hierbei, dass die Kirchen nun nicht mehr durchweg geostet waren. Die aufgehende Sonne als Symbol für den wiederkehrenden Herrn hatte für den Menschen der damaligen Zeit nicht mehr den Stellenwert, wie sie ihn noch für die Antike oder das frühe Mittelalter hatte. Nun wurden die Kirchen in alle Himmelsrichtungen gebaut, wobei für die Ausrichtung der Zelebration wichtig blieb, dass die Gemeinde mit dem Priester immer gemeinsam in dieselbe Richtung betete, nämlich zum Altare Gottes, wo der Priester an der Spitze des Volkes – wie zu allen Zeiten – das Opfer vollzog.

 

9.) Der Kirchenbau des Klassizismus, schlichte Eleganz für Gott (ca. 1770–1840)

Der Klassizismus kann als künstlerischer Gegenstil zum Barock aufgefasst werden. Ab den 1790er-Jahren galt der Klassizismus in Frankreich als „Stil der Revolution“. Vorbilder des neuen Stils waren wiederum die klassisch-römische und griechische Antike – ebenso wie schon in der Zeit der Renaissance, allerdings diesmal gelehrter, archäologisch fundierter und ernsthafter. Außerdem bezog der Klassizismus im Gegensatz zur Renaissance nun auch die ganze Tempelfront mit Säulen und Giebeln mit ein. In den Giebeln waren dann oftmals Christusdarstellungen (vgl. St. Madeleine, Paris). Das Hauptmerkmal klassizistischer Baukunst ist das Streben nach rationalen, verbindlichen und allgemeingültigen ästhetischen Regeln sowie ein Drang zu Monumentalität und Größe. Zu den Prinzipien dieser Architektur gehört die Verwendung griechischer und römischer Tempelmotive mit den klassischen Säulenordnungen dorisch, ionisch und korinthisch – eine einfache blockhafte Bauweise mit sparsamem Dekor. Die klaren und strengen Linien und Formen sind meist symmetrisch angeordnet. Dreieck, Quadrat, Kugel, Kreis, Pyramide bilden schlichte Grundformen des Klassizismus. Der Innenraum ist wie bei den Zentralbauten nahezu quadratisch. Sparsam werden die Wände mit klassischen Ornamenten wie Eierstab, Zahnschnitt, einfachen Gesimsen oder Girlanden geschmückt. Der oftmals monumentale Innenraum ist meist in Weiß gehalten, vor allem auch die Innenwände der großen Kuppeln. Auf Goldverzierung wurde meist verzichtet oder sie wurde nur sehr sparsam verwendet. Sehr beliebt im Klassizismus war auch die Nachbildung des römischen Pantheons in Rom als katholischer Sakralbau (St. Blasien im Schwarzwald, St. Ludwig in Darmstadt, St. Hedwigskathedrale in Berlin, St. Stephan in Karlsruhe). Typische Klassizismuskirchen sind außerdem die Evangelische Stadtkirche in Karlsruhe, St. Madeleine und St. Sulpice in Paris und die protestantische Frauenkirche in Kopenhagen.

 

10.) Der Kirchenbau im Historismus (1840–1910)

Das 19. Jh. brachte zum großen Bedauern vieler Architekten keinen neuen, eigenen Stil hervor. Ihnen blieb nur die Wahl zwischen den Stilen der Vergangenheit. So baute man im profanen, repräsentativen Bereich Opern, Schlösser, Rathäuser und Stadttore bevorzugt in den Stilen der Neorenaissance, des Neobarock und Neorokoko. Im kirchlichen Bereich konzentrierte man sich eher auf die Neoromanik und ganz besonders auf die Neogotik (Neugotik). Zum Durchbruch

der Wiederbelebung der Gotik kam es vor allem durch den englischen Architekten und Konvertiten Augut Pugin (1812–1852). Allein in England baute er 60 katholische Kirchen, darunter einige Kathedralen wie St. Chad’s in Birmingham (1839–1841) – die erste neu gebaute katholische Kathedrale seit dem Schisma durch König Heinrich VIII. – und die Kathedrale von Nottingham ab 1844.

 

Auch auf dem Festland in Europa setzte sich die Begeisterung für die Stile der Vergangenheit, besonders die Gotik, immer mehr durch. Da England wie auch Deutschland viele Kolonien in fernen Ländern besaßen, exportierte man die Architektur der damaligen Zeit auch nach Übersee. So bestimmt die neugotische Kathedrale von Windhuk in der ehemals deutschen Kolonie Namibia mit ihrer Doppelturmfassade (vgl. den Kölner Dom) und ihren schönen bunten langen Fenstern bis heute das Stadtbild. Manche der europäischen Kathedralen wurden in Nord- und Südamerika regelrecht kopiert. So erinnert die Kathedrale St. Patrick in New York mit ihrer Fassade und den beiden Westtürmen sehr an den Kölner Dom, die Basilika von Lujan in Argentinien wie auch die Kathedrale von Kanton in China ähneln sehr der Kathedrale im französischen Chartres. Ab dem späten 19. Jh. erfreute sich vor allem im deutschsprachigen Raum neben der Neugotik auch die Neoromanik im Kirchenbau großer Beliebtheit. So wurden noch bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges (1914–1918) neugotische und neoromanische Kirchen gebaut.

In dieser Zeit erhielten die Kirchen im Inneren oftmals eine herrliche Ausmalung im sehr bekannten „Nazarenerstil“ oder in Klöstern und Ordenshäusern den sehr schönen, monastisch wirkenden, sogenannten „Beuroner Stil“.

11.) Der Kirchenbau im 20. Jahrhundert

Gegenüber den nachahmenden Stilformen des 19. Jh. gab nach der Jahrhundertwende der Jugendstil neue Impulse für den Kirchenbau. Der Jugendstil war ursprünglich eine für Buchillustrationen entwickelte Dekorationsform mit Blumenornamenten, die ihren Namen von der um 1900 erscheinenden Zeitschrift Die Jugend ableitete. Doch setzte sich der Jugendstil als Architekturstil für den Sakralbau nicht durch. Es wurden nur wenige Kirchen gebaut, die wirklich als Jugendstilkirchen bezeichnet werden können.

Neue Materialien wie Stahlbeton, Glas und Aluminium, der Überdruss der Architekten an historischen Bauformen und die Zerstörung vieler Gebäude und Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg führten zu einer Experimentierphase auch im Sakralbau. Als besonders erschreckend und katastrophal kann man die Entwicklung, wie sie sich uns in der modernen Wallfahrtskirche Ronchamp bei Belfort in Frankreich des Architekten Le Corbusier aus dem Jahre 1955 zeigt, ansehen. Man könnte den Bau von außen einfach als „Betonbunker“ beschreiben. Besonderen Einfluss auf die moderne Architektur des Kirchbaus im 20. Jh. hatten im deutschsprachigen Raum die Architekten Otto Bartning (1883–1959), Theodor Fischer (1928 Waldkirche in Planegg), Olaf Andreas Gulbransson (Christuskirche am Schliersee/Bayern aus den 1960er-Jahren).

Bartning baute nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie protestantische Kirchen. Besonders bekannt wurde sein Modell der „Sternkirche“, wie sie 1930 in der Auferstehungskirche in Essen verwirklicht wurde. In einem Dreiviertelkreis sollte die Gemeinde die Mitte mit Kanzel und Altar umgeben. Das letzte obere Viertel war für die Orgel und den Kirchenchor vorgesehen. Dieses Modell wurde in abgewandelter Form sehr oft in den 1960/70er-Jahren auch im katholischen Sakralbau übernommen – falls man in dieser Zeit, besonders, was die Innenausstattung betrifft, überhaupt noch von „Sakralbau“ sprechen kann. Oftmals entstanden vom Grundriss her, sechs- oder eher achteckige Stahlbetonkirchen: Der Hochaltar befindet sich an der oberen Stirnseite, die Gemeinde kann so von allen Seiten auf den Altarraum sehen. Noch weiter ging man allerdings in den 1970er-Jahren des 20. Jh.: Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde gerade im deutschsprachigen Raum aus vielen Kirchen die sakrale Kunst entfernt und ihr Innenraum entstellt – es begann der Bildersturm des 20. Jh. In keinem Konzilsdokument findet sich ein Hinweis oder auch nur eine Empfehlung, dies zu veranlassen, geschweige denn, zusätzlich zum Hochaltar einen „Volksaltar“ aufzustellen.

 

Heute erkennt man an manchen Orten kaum noch, dass es sich überhaupt um eine Kirche handelt. Man duldet im Inneren keine Heiligenstatuen, keine schönen Gemälde mehr; kaum etwas Edles oder üppiger Blumenschmuck ist noch zu sehen; nicht einmal den Herrn im Sakrament duldet man noch im Zentrum, sondern stellt ihn unauffällig auf die Seite, z. B. in einen Pfeiler oder in eine Seitenkapelle. Welch ein Unterschied zu den vorausgegangenen Epochen der Sakralarchitektur, besonders wenn wir die Gotik mit ihrer tiefen Symbolik und Verwirklichung der Hl. Schrift im Kirchenbau betrachten – vom „himmlischen Jerusalem“ zum „Betonbunker“! Der hl. Eusebius bezeichnete das Kirchengebäude im Jahre 314 als „Stadt des Herrn der Heerscharen“ und der syrische Dichter Baläus († 450) schrieb: „Es ist kein gewöhnliches Haus, sondern der Himmel auf Erden, weil der Herr darin wohnt.“

 

Werte Leser, in den vergangenen 13 Ausgaben des DGW habe ich versucht, Ihnen einen kleinen Einblick in die Entwicklung der vielen Stile des Sakralbaus über einen Zeitraum von fast 2000 Jahren zu verschaffen. Ich denke, unsere Vorfahren haben viel und Außerordentliches geleistet, und wir brauchen uns gegenüber anderen Religionskulturen nicht zu verstecken. Ja, wir können stolz darauf sein, was in fast 2000 Jahren an christlicher Architektur entstanden ist. Ich hoffe, dass ich bei dem einen oder anderen das Interesse an christlicher Architektur, ja wenigstens die Neugierde wecken konnte. Jeder Stil ist interessant und bestaunenswert, an Symbolik und Mystik besonders reichhaltig aber ist die Epoche der Gotik. Vieles kann man erst verstehen, wenn man ein bisschen mehr weiß und auch den Zusammenhang einzelner Stilelemente mit den Aussagen, Beschreibungen der Hl. Schrift ins Auge fasst.