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Das innerliche Leben

Erschienen in:
DGW-2011-1-Lets-talk-about-Pop

Mit diesem Beitrag über das innerliche Leben lade ich Euch ein, gemeinsam mit mir zu betrachten, was das christliche Leben bedeutet und wie wir es verwirklichen können. Denn wenn wir unseren Glauben wirklich ernst nehmen, müssen wir ihn auch leben, sonst können die Verheißungen Christi an uns nicht erfüllt werden. Wir sind in der Taufe zu Christen geworden und haben damit das Programm für unser Leben erhalten: Christ zu sein.

Betrachten wir dazu zunächst einmal kurz unser Ziel und den Zweck, zu dem wir erschaffen sind. Unser Ziel ist die himmlische Herrlichkeit mit der Anschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm; wir sind also zur Ehre Gottes erschaffen und allein in dieser unendlich erhabenen Bestimmung können wir unser Glück finden. Daraus folgt, dass wir danach streben müssen, heilig zu werden, denn nur dazu sind wir von Gott ins Leben gerufen worden. Der hl. Augustinus nennt die Heiligkeit die Gesundheit des Menschen, also den Normalzustand. Heiligsein ist deshalb nicht etwas für außergewöhnliche Menschen, sondern es ist die Pflicht von uns allen, und wenn wir sie nicht erfüllen, haben wir unser Ziel verfehlt und unser Glück vertan.

Lesen wir dazu, was der hl. Paulus im Römerbrief schreibt (8,5–8): „Denn die nach Art des Fleisches sind, trachten nach dem, was des Fleisches ist, die aber nach Art des Geistes sind, nach dem, was des Geistes ist. Das Trachten des Fleisches ist Tod, das Trachten des Geistes aber Leben und Friede. (…) Die im Fleische sind, können Gott nicht gefallen.“ Wir ersehen daraus zweierlei: zum einen, dass es im Leben nur zwei Möglichkeiten gibt – wir können keinen Mittelweg, keinen Kompromiss mit der Welt wählen, auch nicht den kleinsten, denn: „Niemand kann zwei Herren dienen“ (Mt 6,24). Wenn wir uns also für Gott entschieden haben, haben wir uns damit für die Heiligkeit entschieden. Zum anderen wird aus der Paulusstelle deutlich, dass das christliche Leben ein geistiges Leben ist, also ein Leben nach dem Heiligen Geist, dessen Führung wir folgen müssen.

Wann und wie erreichen wir aber nun die Heiligkeit? Die Heiligkeit besteht in der Vollkommenheit der Liebe. Sinn und Ziel unseres Lebens ist die Vereinigung mit Gott und diese Vereinigung erlangen wir durch die Liebe. Haben wir das erreicht, sind wir heilig. Das Gesetz, das uns Christus im Neuen Testament gibt, ist die Liebe. Es geht nicht wesentlich um die Befolgung von Vorschriften wie im Alten Testament, sondern um den Grad unserer Gottes- und Nächstenliebe. Deshalb genügt es zur Heiligkeit auch nicht, nur die Vorschriften der Kirche zu befolgen, und andersherum betrachtet ist es aber auch nicht notwendig, ganz fehlerfrei zu sein – das waren auch die Heiligen nicht.

Wir haben gesehen, dass das christliche Leben, das uns zur Heiligkeit führt, ein geistiges Leben ist. Damit ist es aber notwendigerweise ein innerliches Leben, denn der Geist wirkt im Inneren des Menschen und die Liebe, aus der es besteht, ist schließlich im Herzen angesiedelt. Was aber macht ein innerliches Leben aus? Innerliches Leben meint die ständige, liebende Vereinigung mit Gott, sodass Christus ganz in uns leben kann. Diese Wahrheit veranschaulicht uns Christus in dem Gleichnis vom Weinstock (Joh 15,1–10), wo er u. a. sagt: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch“ oder: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Der Christ kann also nichts ohne Christus, die Quelle der Gnaden, bewirken. Die Vereinigung mit Gott, das innerliche Leben, ist daher die notwendige Voraussetzung für ein christliches Leben, das uns zu Heiligen macht, und gleichzeitig auch für jedes tätige Leben und für jedes fruchtbare Apostolat. Das innerliche Leben steht deshalb auch höher als das tätige Leben, so wie auch das Geistige im Menschen vornehmer ist als das Leibliche. Allerdings heißt das nicht, dass das tätige Leben nicht verdienstvoll wäre, auch wenn Christus sogar einmal Martha, die ihn gerade eifrig bediente und ihre Schwester Maria Magdalena für das „bloße Zuhören“ kritisierte, mit den Worten zurechtwies: „Martha, Martha, du machst dir Sorgen und Unruhe um vieles; eines nur ist notwendig. Maria hat den guten Teil erwählt“ (vgl. Lk 10,38–42). Das tätige Leben ist Gott durchaus wohlgefällig, allerdings vorausgesetzt, dass es mit dem inneren Leben verbunden ist und all unsere Tätigkeiten sozusagen aus der Innerlichkeit fließen. Dann stellt es nach Thomas von Aquin sogar die höchste Form des Lebens dar.

Wenn das innerliche Leben aber so wichtig für unsere Heiligkeit ist, müssen wir uns ernsthaft darum bemühen. Schauen wir uns nun deshalb die Mittel an, die uns zur Innerlichkeit führen.

Da ist in erster Linie das Gebet. Denn Gebet meint jede Erhebung der Seele zu Gott und was ist das anderes als die Vereinigung mit unserem Schöpfer? Deshalb fordert uns Christus auch auf, allezeit zu beten (vgl. Lk 18,1 und 21,36).

Das Gebet lässt sich in verschiedene Arten einteilen:

Das mündliche Gebet, das selbstverständlich immer auch innerlich sein soll, ist notwendig, um uns einen festen Rahmen zu geben und um uns in das innerliche Gebet einzuführen. Unterschätzen wir daher den Nutzen des äußerlichen Gebetes nicht, gerade auch dann, wenn es uns schwerfällt, unsere Gedanken auf Gott zu lenken. Nehmen wir uns jeden Tag Zeit für ein gutes Morgen- und Abendgebet und für den Rosenkranz oder wenigstens für einen Teil davon. Lernen wir die liturgischen Gebete, vor allem die der hl. Messe, wirklich lieben!

1. Es ist unmöglich, ständig das äußerliche Gebet zu verrichten, aber in unserem Inneren können wir immer mit Gott verbunden bleiben und in seiner Gegenwart leben, auch wenn wir nicht in jedem Moment bewusst an ihn denken. Um diese Haltung, die das innerliche Leben ausmacht, zu erlangen, ist die Übung des inneren Gebetes die notwendige Voraussetzung. Beim inneren Gebet nehmen wir uns gewissermaßen eine bestimmte Zeit, in der wir die Verbindung mit Gott bewusst suchen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen.

a) Die Meditation (von lat. meditari = „nach-, überdenken“) ist eine Art der Betrachtung, die man als die liebende Erwägung von religiösen Wahrheiten bezeichnen kann. Es geht dabei also um das Nachdenken über eine Glaubenswahrheit (z.B. der Schöpfung, der Menschwerdung Gottes, der hl. Messe etc.) und die Überlegung, was diese Wahrheit für die Menschen und konkret für uns bedeutet. Das Ziel ist dabei nicht, mehr Wissen über den Glauben zu erhalten, sondern durch die Meditation sollen wir Gott in seinen Eigenschaften und Werken besser kennenlernen, um ihn mehr lieben zu können. Es handelt sich um also eine Übung, die Zeichen der Liebe Gottes zu erkennen und dadurch zur Gegenliebe angeregt zu werden. Die hl. Theresia von Avila sagte dazu: „Es geht nicht darum, viel zu denken, sondern viel zu lieben“.

b) Im Gegensatz zur Meditation, bei der wir mit unserem Verstand aktiv sind, ist die Kontemplation (von lat. contemplari = „seine Blicke über etwas schweifen lassen“, „betrachten“) eine eher passive „Beschauung“, bei der Gott in der Seele tätig ist. Im Gegensatz jedoch zur übernatürlichen, eingegossenen Beschauung, die als Art Verzückung von Gott gegeben wird, kommen wir zur natürlichen Beschauung durch eigenes Tun, indem wir uns nämlich um das kontemplative Gebet bemühen. Bei der Kontemplation schauen wir in unserem Geiste z. B. ein Ereignis aus dem Leben Jesu und führen mit Gott ein vertrautes Gespräch, wie mit einem geliebten Freund. Dieses vertraute Zusammensein mit Gott durch die Vergegenwärtigung eines bestimmten Ereignisses braucht keine Regeln; es ist spontan und persönlich und fließt aus der Liebe heraus. Manchmal spricht die Seele, manchmal ist sie einfach still und hört auf ihren Geliebten.

c) Das Herzensgebet ist die höchste Form des Gebetes, die Gott am wohlgefälligsten ist, weil wir da ganz ihm gehören. Es ist nichts weiter als das Versenken in Gottes Liebe und das bloße Verweilen in seiner Gegenwart. Wir machen uns die Gegenwart Gottes als unser Vater, Schöpfer, Freund etc. in unserer Seele bewusst und vereinigen uns mit ihm und schenken uns ihm vollständig hin. Dazu müssen wir uns ganz in unsere Seele, den Tempel Gottes, zurückziehen und alle unsere Sinne und unseren Verstand auf ihn richten.

Eine weitere Art, die zum inneren Gebet gehört, ist das betrachtende Lesen. Wenn uns beim Lesen eines geistlichen Buches ein Gedanke anspricht, halten wir inne und erwägen ihn in unserem Geiste. Diese Methode kann vor allem bei Trockenheit eine gute Hilfe für die Betrachtung sein.

 

Wie schon erwähnt, soll die Betrachtung ganz persönlich sein; vor allem am Anfang jedoch, wenn man in der Betrachtung noch ungeübt ist, kann eine bestimmte Methode hilfreich sein. Viele geistliche Lehrer geben hierzu Anleitungen, deren wesentliche Punkte hier kurz dargelegt werden sollen:

Zunächst ist es wichtig, sich eine bestimmte Zeit – am besten ca. eine ¼ Stunde am Morgen – für die Betrachtung festzulegen und sie fest in den Tag einzuplanen. Die hl. Theresia von Avila gab Jesus mit den Worten wieder: „Versprich mir täglich eine Viertelstunde Betrachtung, und ich verspreche dir den Himmel.“ Zur Not sollten es wenigstens ein paar Minuten beim Morgengebet sein. Der Morgen eignet sich besonders gut dafür, weil wir uns dann noch leichter auf Gott konzentrieren und die Gedanken aus der Betrachtung in den Tag mitnehmen können.

Vorbereitung: Als ersten Schritt legen wir uns den Betrachtungsgegenstand fest. Dazu kann man als Ausgangspunkt und Hilfe, eventuell schon am Abend vorher, einen Abschnitt aus der Hl. Schrift oder einem anderen geistlichen Buch lesen, sich ein Gebet vornehmen oder ein Ereignis aus dem Leben Jesu bzw. eine bestimmte Glaubenswahrheit als Grundlage in Erinnerung rufen.

Dann suchen wir uns für die Betrachtung einen geeigneten Ort und eine passende Haltung aus. Dabei muss jeder zusehen, wie er am besten die innere und äußere Ruhe herstellt.

Der Beginn der Betrachtung besteht immer darin, sich in Gottes Gegenwart zu versetzen. Man kann ihn in unserer Seele oder seine Allgegenwart in der Schöpfung erfassen oder man stellt sich einfach Jesus in seiner Menschheit vor. Anschließend folgt das Vorbereitungsgebet mit der Bitte um Gottes und der Heiligen Beistand und eventuell unter Hinzufügung einer Bitte um eine besondere Gnade. Nun gehen wir zur eigentlichen Betrachtung über, indem wir uns den Betrachtungsgegenstand bewusst machen.

Betrachtung: Der Betrachtungsgegenstand bestimmt häufig die Art der Betrachtung, wobei es natürlich meist keine reinen Formen gibt. So denken wir bei der Meditation, wie oben beschrieben, aktiv über eine Glaubenswahrheit nach. Wir staunen darüber und setzen Akte des Glaubens, der Verehrung, der Liebe. Bei der Kontemplation versetzen wir uns im Geiste an einen Schauplatz und sehen die handelnden Personen, betrachten ihr Tun und hören ihre Worte. Auch hierbei wecken wir in uns die Tugenden des Glaubens, der Reue, der Liebe … Gleichgültig, was wir betrachten, letztlich soll uns jede Betrachtung zum Herzensgebet und zur liebenden Vereinigung mit Gott führen, weshalb die Betrachtung immer mit dem Zwiegespräch abschließen soll, in dem wir Akte der Liebe, Hingabe und Vereinigung setzen. Das vertraute Zusammensein mit Gott ist das Ziel der Betrachtung, und wenn wir daher schon ganz zu Beginn der Betrachtung zum Herzensgebet übergehen können, tun wir es! Kehren wir nur zu dem Betrachtungsgegenstand zurück, wenn Zerstreuungen kommen.

Schluss: Als Abschluss sprechen wir ein Dankgebet, indem wir Gott die Betrachtung darbringen und ihn bitten, bestimmte Entschlüsse, die wir eventuell gefasst haben, zu segnen. Wir müssen nicht unbedingt Vorsätze entwickeln, denn es geht ja in erster Linie um die Ehre Gottes. Wenn es sich allerdings ergibt, so ist das durchaus in Ordnung. Sinnvoll ist es auf jeden Fall, konkrete Gedanken, z.B. in der Form eines Stoßgebetes, in den Tag mitzunehmen, damit wir so den ganzen Tag mit Gott in Verbindung bleiben. Wem es hilft, der kann seine Gedanken auch aufschreiben.

Ist die Betrachtung trocken, so dürfen wir nicht unruhig werden. Vertrauen wir auf Gott, der damit vielleicht unsere Beharrlichkeit prüfen will, und üben wir uns in der Demut. Man kann sich z.B. dann etwas mehr an einem Buch oder einem bestimmten Gebet orientieren. Merken wir, dass wir zerstreut sind, so können wir ein kurzes Stoßgebet sprechen, das uns wieder auf Gott zurücklenkt, wie z.B.: „Dir Gott opfere ich mich ganz hin“, „Alles zu Deiner Verherrlichung“, „Maria, mit dir will ich Gott anbeten“. Wenn wir trotz Trockenheit und Zerstreuung ausharren, werden unsere Verdienste umso größer sein.

 

Die Betrachtung soll uns also zur liebenden Vereinigung mit Gott führen, die dann auf unser ganzes Tun ausstrahlt und uns so zu einem innerlichen Leben führt, bei dem der Mensch ständig mit seinem Schöpfer und Erlöser vereint ist und alles mit und durch ihn tut. Bemühen wir uns daher mit ganzer Kraft um die Betrachtung, deren Wert wir gar nicht genug ermessen können!

Die Betrachtung ist also eines der wichtigsten Mittel zu einem innerlichen Leben. Daneben gibt es aber noch weitere Hilfen. Dazu gehört vor allem der Empfang der hl. Sakramente. Gerade in der hl. Kommunion erfahren wir ja die Vereinigung mit Gott auf einer noch viel höheren Ebene, denn während wir uns in der Betrachtung auf geistige Weise mit Christus vereinigen, geschieht dies in der hl. Kommunion sogar auf leibliche Weise. Weiterhin ist die Schrift- bzw. geistliche Lesung sehr wertvoll, auch wenn es sich jeden Tag nur um einen kurzen Abschnitt handelt. Und dann stehen uns natürlich auch die Exerzitien offen, die uns helfen, unser Leben immer mehr auf Gott auszurichten.

Wir haben also alle Möglichkeiten, um heilig zu werden; Gott gibt jedem von uns unendlich viele Gnaden dazu, nur müssen wir selbst mitarbeiten und es vor allem wollen! Dann ist der Weg nicht so weit und schwer, wie er uns vielleicht auf den ersten Blick vorkommen mag. Und wenn wir für Christus kämpfen und seine Herrschaft verteidigen wollen, dann geht das nur, wenn wir voll dabei sind und uns ganz einsetzen. Mit halbherzigen Katholiken kann man nichts bewirken! Außerdem gibt es davon heutzutage schon genug. Machen wir also ernst und fangen direkt damit an, denn es geht um unser ewiges Glück!

 

 

Verwendete Literatur

Chautard, Jean-Baptiste: Innerlichkeit. Die Seele allen Apostolates. Wien (Fassbaender) 2007.

Grialou, Marie-Eugen: In der Kraft des Geistes. Gebet und Apostolat. Leutesdorf (Johannes) ²2001.

Lefebvre, Marcel: Geistlicher Wegweiser. Übersetzung aus dem Französischen von Ferdinand Steinhart und Inge Köck. Sonderdruck III aus „Damit die Kirche fortbestehe“. Stuttgart (Vereinigung St. Pius X.) 1992.

Sales, Franz von: Philothea. Anleitung zum frommen Leben. Übersetzt und herausgegeben von Franz Reisinger. Eichstätt (Franz-Sales-Verlag) 1995, Taschenbuchausgabe 2009.

Spirago, Franz: Katholischer Volkskatechismus. Lingen 101927.

 

Weitere nützliche Literatur

Kempen, Thomas von: Nachfolge Christi. Vier Bücher. Hrsg. und übersetzt von Wendelin Meyer. Durchgesehen von Lothar Hardick. Kevelaer (Butzon & Bercker) 2007.

Baudot, Prosper: Das Leben Jesu. Betrachtungen zu den Evangelien. Stuttgart (Vereinigung St. Pius X.) 2011.

Marmion, Dom Columba: Worte des Lebens. Tagesgedanken nach dem Meßbuch. Jaidhof (Rex Regum) 2004.

Martin, R. P.: Der kleine Weg der geistlichen Kindschaft. Nach dem Leben und den Schriften der hl.Theresia vom Kinde Jesu. Stuttgart (Sarto) 2010.

Geschichte einer Seele. Selbstbiographie der hl. Theresia vom Kinde Jesu. Einsiedeln, Freiburg (Johannes-Verlag) 152003.