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Gebet und Betrachtung
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Vom Gebet
Der Hl. Thomas von Aquin (1226-1274), Schüler des Hl. Albert des Großen behandelt in seiner “Theologischen Summa” das Gebet, als er von der Tugend der Gerechtigkeit spricht. Nun aber ist die Gottesverehrung (“Das Gebet ist in eigentlicher Weise die Verwirklichung der Gottesverehrung”) mit der Tugend der Gerechtigkeit verbunden, wie der engelgleiche Lehrer (doctor angelicus) schreibt: “Die Gerechtigkeit besteht darin, dass dem anderen gegeben wird, was ihm nach Billigkeit (in Entsprechung) zukommt. Es gibt nun gewisse Tugenden, die das Geschuldete dem anderen geben, aber sie können nichts Gleichwertiges geben. So ist, was auch immer von einem Menschen Gott gegeben wird, geschuldet. Es kann aber nicht entsprechend sein.”
Die Lehre des Hl. Thomas ist der Höhepunkt der Scholastik. Scholastisch (schuldhaft) bezeichnete man spöttisch die wissenschaftliche Genauigkeit der großen Theologen des Mittelalters. Ihre Größe aber liegt darin, dass ihre Werke “auf den Knien” entstanden (kniende Theologie), das heißt in der harmonischen Einheit von Glauben und Vernunft, von Frömmigkeit und Wissenschaft, von Gebet und Arbeit.
Ist Beten angebracht?
ERSTENS scheint das Gebet dazu notwendig zu sein, dem, den wir bitten, mitzuteilen, was wir nötig haben. Bei Matthäus dagegen (6,32) heißt es: “Euer Vater weiß, dass ihr dies alles nötig habt.” Also ist es unangemessen zu beten.
ZWEITENS wird durch Bitten derjenige, der gebeten wird, umgestimmt, damit er tue, um was er gebeten wird. Gottes Absicht aber ist unveränderlich und unbeugsam gemäß dem ersten Buch der Könige (1 Sam. 15,29): “Der Sieger wird in Israel nicht Schonung gewähren, noch durch Reue sich umstimmen lassen.” Also ist es unangebracht, dass wir Gott bitten.
DRITTENS ist es freizügiger, einem etwas zu geben, der nicht darum bittet als einem, der darum bittet, weil, wie Seneca sagt, “keine Sache teurer erstanden wird als die, die durch Bitten erkauft wird”. Gott aber ist der Freigebigste; also ist es scheinbar unschicklich, dass wir Gott bitten.
ABER DAGEGEN spricht, was bei Lukas (Lk 18,1) steht: “Man muss immer das bete und darf nicht nachlassen.”
ANTWORT: Die Nützlichkeit des Gebetes muss derart gezeigt werden, dass wir weder den menschlichen Dingen, die der göttlichen Vorsehung unterworfen sind, eine Notwendigkeit auferlegen, noch auch die göttliche Anordnung für veränderlich halten. Wir beten nämlich nicht deswegen, um die göttliche Anordnung zu verändern, sondern um das, was Gott bestimmt hat, dass es durch unsere Gebete in Erfüllung gehe, zu erhalten. Damit nämlich die Menschen “durch ihr Fordern zu empfangen verdienen, was der allmächtige Gott ihnen von Ewigkeit her zu geben bestimmt hat”, wie Gregor der Große schreibt.
AUF DAS ERSTE also ist zu antworten, dass es nicht notwendig ist, Gott unsere Bitten vorzutragen, damit wir Ihm unsere Bedürfnisse oder Verlangen kundtun, sondern damit wir selbst bedenken, hierin unsere Zuflucht zur göttlichen Hilfe zu nehmen.
AUF DAS ZWEITE ist zu erwidern, dass, wie gesagt, unser Gebet nicht die Änderung der göttlichen Anordnung beabsichtigt, sondern, dass wir durch unsere Bitten das empfangen, was Gott angeordnet hat.
AUF DAS DRITTE ist zu sagen, dass Gott uns Vieles gewährt aus seiner eigenen Freigebigkeit, ohne, dass wir ihn darum bitten. Dass er uns aber einiges geben will, nur wenn wir darum bitten, gereicht uns zum Nutzen; nämlich damit wir ein gewisses Vertrauen erhalten, zu Gott unsere Zuflucht zu nehmen und damit wir Ihn anerkennen als Urheber unserer Güter. Daher sagt Johannes Chrysostomus: “Betrachte, was für ein Glück dir gewährt, was für eine Ehre dir zuteilwurde, durch Gebete mit Gott dich zu unterhalten, mit Christus dich zu unterreden, zu wünschen, was du willst, zu fordern, was du begehrst.”1
Nur zu Gott beten?
Das Gebet wird zweifach an jemanden gerichtet: In der einen Weise so, dass die Bitte von diesem erfüllt werde, in der anderen Weise so, dass sie durch ihn Gehör finde. Auf die erste Weise bringen wir allerdings nur Gott das Gebet dar, weil alle unsere Gebete sich darin ausrichten müssen, die Gnade und die Herrlichkeit zu erlangen, die allein Gott gewährt gemäß Psalm 83 (V.12):”Gnade und Herrlichkeit verleiht der Herr”. Auf die zweite Weise aber wenden wir unsere Gebete an die Engel und Heiligen, nicht damit Gott durch jene unsere Bitten kennenlernt, sondern damit Kraft ihrer Bitten und Verdienste unsere Gebete ihre Wirkung erreichen. Deshalb heißt es (Apk 8,4): “Der Rauch des Weihrauches von den Gebeten der Heiligen stieg aus der Hand des Engels auf vor Gottes Angesicht.” Und das ist auch ersichtlich aus der Weise selbst, die die Kirche beim Beten anwendet; denn den Heiligen aber, welche es auch immer sein mögen, erbitten wir, dass sie für uns beten.
Soll das Gebet mündlich sein?
Es gibt ein zweifaches Gebet: ein gemeinschaftliches uns ein privates. Das gemeinschaftliche Gebet ist jenes, das durch die Diener der Kirche an Stelle der gesamten gläubigen Volkes Gott dargebracht wird. Daher soll ein solches Gebet vom ganzen Volk wahrgenommen werden, für das es ja verrichtet wird. Dazu muss es mündlich sein. Deshalb ist es eine vernünftige Einrichtung, dass die Diener der Kirche diese Gebete sogar mit lauter Stimme aussprechen, damit sie allen zur Kenntnis gelangen können.
Das persönliche Gebet dagegen ist jenes, das von einem Einzelnen verrichtet wird entweder für sich oder für andere. Es ist nicht notwendig, dass ein solches Gebet mündlich ist. Dennoch verbindet sich das gesprochene Wort einem solchen Gebet aus einem dreifachen Grund: Zunächst nämlich, um die innere Andacht zu erwecken, durch die der Geist des betenden zu Gott erhoben wird. Deshalb schreibt Augustinus an Proba, dass “wir durch Worte und andere Zeichen uns noch stärker antreiben zur Steigerung des heiligen Verlangens”. Deshalb soll man beim persönlichen Gebet nur so weit Worte und derartige Zeichen, als es zur Anregung des Geistes im Inneren nützt. Wenn aber der Geist dadurch zerstreut wird oder irgendwie behindert, soll man davon ablassen. Das gilt vor allem für diejenigen, deren Geist ohne derartige Zeichen genügend zur Andacht bereit ist. Daher sagte der Psalmist: “Mein Herz spricht zu Dir, mein Angesicht sucht Dich” (Ps 26,8)
Außerdem verbinden sich die Worte mit dem Gebet, gleichsam um etwas Geschuldetes zu gewähren, damit nämlich der Mensch Gott diene mit allem, was er von Gott erhalten hat, d.h. nicht nur mit dem Geiste, sondern auch mit dem Leibe. Das gilt besonders, insofern das Gebet als Genugtuung dient. Daher heißt es bei Osee (14,3): “Jedes Unrecht nimm hinweg und nimm auf das Gute, und wir werden die Opfer unserer Lippen darbringen”.
Schließlich kommt das mündliche Gebet hinzu aus einem gewissen Überströmen von der Seele in den Leib, aus einer heftigen Gemütsbewegung gemäß Psalm 15,9: “Mein Herz freut sich und meine Zunge frohlockt”.
1 Anm.: Die theologische Begründung des (Bitt-)Gebetes darf nicht der Grund unseres Betens sein! D.h. wir sollen im Gebet nicht uns selbst, sondern Gott suchen.)