Unsere Mediathek

Gefahren des Pseudo-Traditionalismus

Erschienen in:
DGW-2014.1-Wir-die-Jugend

1) Der erste Teil dieser kurzen Artikelserie über die Gefahren des Pseudo-Traditionalismus befasst sich mit dem notwendigen Kampf der traditionalistischen Gemeinschaften innerhalb der römisch-katholischen Kirche gegen den Modernismus und den Liberalismus. Der zweite, noch folgende Artikel hingegen befasst sich mit den alltäglichen Gefahren, denen traditionalistische Gläubige heute ausgesetzt sind, einem Pseudo-Traditionalismus zu verfallen bzw. einen sogenannten grundsätzlichen „Sonntags-Katholizismus“ einschleichen zu lassen.

 

Was ist Traditionalismus?

Traditionalismus wird im Folgenden als Ansinnen einer Bewegung innerhalb der römisch-katholischen Kirche verstanden, deren Anhänger am wahren, unverfälschten und unverkürzten katholischen Glauben festhalten wollen, also an dem Glauben, wie er von Jesus Christus gelehrt wurde und wie ihn die Kirche knapp 2000 Jahre lang verkündete und weitergab – es geht also um die Tradition der Kirche. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil jedoch wurde mit dieser Tradition bewusst gebrochen. Die gefährlichste und schädlichste Irrlehre der Moderne, der Liberalismus, sickerte zwar schon weit vor jenem unheilvollen Konzil in die Adern der Kirche, wurde jedoch von den Päpsten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts immer wieder energisch zurückgewiesen, etwa – um nur wenige Päpste zu nennen – von Leo XIII. in seinen herausragenden Enzykliken Libertas praestantissimum und Immortale Dei oder durch Pius IX. in Quanta Cura oder seinem berühmten Syllabus. Der Liberalismus in der Theologie, also der Modernismus, wurde vom hl. Papst Pius X. als omnium haeresium collectum („Sammelbecken aller Häresien“) bezeichnet und in der wegweisenden Enzyklika Pascendi Dominici Gregis verurteilt. Das Zweite Vatikanische Konzil jedoch manifestierte diese gefährlichen Irrtümer in den Konzilstexten, zum Ausdruck gebracht vor allem in den Bekenntnissen zur Religionsfreiheit, zum Ökumenismus und zur Kollegialität sowie in den erschütternden Gefahren Dokumenten der Pastoralkonstitution der Kirche und der Erklärung zu den nicht-christlichen Religionen.

Einzig die Traditionalisten widersetzten sich diesen Irrtümern des Zweiten Vatikanischen Konzils und den daraus in der Folgezeit erwachsenen falschen Neuerungen. Um die heilige Tradition der Kirche zu bewahren und sie durch glaubenstreue Priester frei vom falschen Geist des Konzils an die Gläubigen weiterzugeben, gründete Erzbischof Marcel Lefebvre 1970 die Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX). Seitdem ist das vorrangige Ziel der FSSPX die Erneuerung des Priestertums durch die glaubens- und traditionstreue Ausbildung junger Männer in ihren sechs Seminaren, wie sie die Kirche immer sichergestellt hat. Es geht dabei also vor allem darum, die Reinheit des katholischen Glaubens zu bewahren, ihn mutig gegen alle Feinde der Kirche zu verteidigen und die Irrtümer des Liberalismus und Modernismus offen anzuklagen und entschlossen zu bekämpfen.

 

Was ist nun Pseudo-Traditionalismus?

Die Vorsilbe Pseudo- bedeutet „falsch“, „unecht“, etwas zu sein vorzugeben, was man nicht ist. So verhält es sich auch mit dem Phänomen des Pseudo-Traditionalismus: Seine Anhänger glauben oder täuschen gar vor, Traditionalisten zu sein, sind es aber nachweisbar nicht. Die organisierte Form des Pseudo-Traditionalismus sind die kanonisch regulierten, also von Rom anerkannten Ecclesia Dei-Gemeinschaften wie die Priesterbruderschaft St. Petrus (Petrusbruderschaft) oder beispielsweise das Institut vom Guten Hirten. Diese Gemeinschaften wurden von der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei errichtet. Viele Gründungsmitglieder dieser Gemeinschaften waren Priester, die sich zuvor von der Priesterbruderschaft St. Pius X. losgesagt hatten. Es geht jedoch im Folgenden in keiner Weise darum, die Haltung einzelner Priester der Ecclesia Dei-Gemeinschaften zu bewerten – dies ist schlichtweg weder möglich noch moralisch rechtens und auch nicht beabsichtigt. Es geht einzig und allein darum, aufzuzeigen, auf welchem kirchenpolitischen Fundament diese Priestergemeinschaften als katholische Organisationen stehen, wie sie in der Kirchenkrise agieren und ob sie den Kampf des Traditionalismus noch führen.

Doch was macht nun Gemeinschaften wie die Petrusbruderschaft zu Pseudo-Traditionalisten? Schon das geistliche Fundament dieser Gemeinschaften, das Motu Proprio Ecclesia Dei (afflicta), der Gründungstext der gleichnamigen päpstlichen Kommission, ist in höchstem Maße problematisch. Das Motu Proprio legt einen falschen Traditionsbegriff vor, der dem Lehramt der vorkonziliaren Kirche widerspricht, und unterstellt Erzbischof Lefebvre bei den Bischofsweihen 1988 eine bewusste Ablehnung des päpstlichen Primats. Dennoch gelten diese Gemeinschaften in der öffentlichen Wahrnehmung als „Traditionalisten“. Daher soll hier vor allem das tatsächliche Verhalten dieser Gemeinschaften in der Kirchenkrise interessieren. Dabei stellt man fest, dass diese Gemeinschaften allesamt den öffentlichen Kampf für den wahren katholischen Glauben gegen die Feinde im Inneren der Kirche aufgegeben haben! Sie prangern die Fehler der Hirten nicht mehr in der Öffentlichkeit an! Sie können nicht mehr wirklich kämpfen und haben sich Fesseln anlegen lassen! Mit der kanonischen Errichtung haben diese Gemeinschaften die Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzil und die Auseinandersetzung mit den Irrtümern des Liberalismus und Modernismus aufgegeben – sie haben den Kampf gegen einen kirchenrechtlichen Status eingetauscht, der ihnen einen kleinen Winkel im Kirchenraum gewährt. Durch diese Aufgabe, durch dieses Strecken der Waffen, durch dieses bewusst gewählte Schweigen geben sie aber implizit ihre Zustimmung zur Besetzung Roms durch die liberalen Irrtümer! Sie erklären sich einverstanden mit der Versöhnung der Kirche mit dem sog. Fortschritt, dem Liberalismus und der modernen Zivilisation. Sie stimmten damit Kardinal Ratzinger zu, der offen eingestand, dass das Konzil ein „Anti-Syllabus“ ist! Sie akzeptieren stillschweigend, dass das liberale Gift, das über so lange Zeit von den Päpsten immer wieder strengstens verurteilt wurde, vom heutigen Lehramt als gut und rechtmäßig verkündet wird! Und noch schlimmer, manche Priester dieser Gemeinschaften verteidigen die modernen Irrtümer öffentlich, bekennen sich zu ihnen! So versuchen Priester der Petrusbruderschaft etwa, eine Kontinuität zwischen der Ablehnung der Religionsfreiheit durch das vorkonziliare Lehramt und dem Bekenntnis zu eben dieser durch das Zweite Vatikanum zu konstruieren.

Sie hängen damit nicht mehr an der ewigen und unveränderlichen Tradition der Kirche, am Lehramt der Jahrtausende, am „katholischen Rom, der Hüterin des katholischen Glaubens und der für die Erhaltung dieses Glaubens notwendigen Traditionen, am Ewigen Rom, der Lehrerin der Weisheit und Wahrheit“. Nein, sie haben Ja gesagt zum „Rom der neo-modernistischen und neoprotestantischen Tendenz […], die klar im Zweiten Vatikanischen Konzil und nach dem Konzil in allen Reformen, die daraus hervorgingen, zum Durchbruch kam“. Natürlich feiern sie noch in der Mehrheit die überlieferte römische Liturgie, die tridentinische Messe. Aber gleichzeitig haben sie akzeptiert, dass Rom ihnen den Mund verbietet, ihre Gläubigen über die Hintergründe, protestantischen Fundamente und gefährlichen Auswirkungen des Novus Ordo Missae aufzuklären. Schlimmer noch: Die Petrusbruderschaft etwa darf ihren Priestern seit dem Jahr 2000 nicht mehr vorschreiben, ausschließlich die tridentinische Messe zu lesen, nein, diese Priester dürfen auch die Neue Messe lesen.

Ohne die tridentinische Messe von einem für den Glauben gefährlichen und protestantisierenden Ritus wie dem Novus Ordo Missae klar abzugrenzen und die gravierenden theologischen und liturgischen Unterschiede zu benennen, wird das Feiern der überlieferten römischen Liturgie zu etwas Sentimentalem. Es verkommt zu einer ästhetischen Vorliebe für diese Messe, man feiert sie, weil man sie anziehender findet. Man schätzt ausschließlich das „Charisma“ des Alten, den weihrauchgeschwängerten Duft, die prächtigen Gewänder und die faszinierenden rituellen Abläufe. Die Theologie dahinter wird ausgeklammert. Dadurch akzeptieren Gemeinschaften wie die Petrusbruderschaft die falsche Behauptung Roms, beide Messen seien gleichberechtigte Ausprägungen desselben Ritus der Kirche – kurzum: Die Gläubigen dürfen wie auf einer Speisekarte im Restaurant beliebig den ihnen genehmen Ritus wählen. Offensichtlich wird diese Haltung innerhalb der Petrusbruderschaft seit ihrer Gründung als eines ihrer primären Ziele gesehen, nämlich durch das Feiern der tridentinischen Messe „das liturgische Angebot zu bereichern“8. Man akzeptiert, einen sogenannten „außerordentlichen Ritus“ zu feiern, und reiht sich so als „exotische Speise“ in das Menü ein.

Doch wie kann man sich nun noch als traditionalistische Gemeinschaft bezeichnen, wenn man sich nicht mehr öffentlich zur gesamten Tradition der Kirche bekennt und diese gegen alle Angriffe, kommen sie nun aus dem Innern der Kirche selbst oder von außen, verteidigt? Man feiert die hl. Messe im tridentinischen Ritus, während man nicht mehr für die unverfälschte Tradition respektive den Glauben kämpft, sondern die modernen Irrtümer stillschweigend akzeptiert und sie in manchen Fällen auch noch öffentlich verteidigt. Das widerspricht sich. Nein, man hat die weiße Fahne gehisst und verharrt schweigend im bequemen Pseudo-Traditionalismus.

 

Warum müssen Katholiken kämpfen?

Für die Menschen aller Zeiten und Kulturen ist das Leben ein Kampf. Die Menschen kämpfen ums Überleben, gegen Feinde und stets auch gegen sich selbst. In unserer heutigen Zeit, in der bereits das Wort „Kampf“ negativ konnotiert ist und bisweilen sogar verstört, in einer Zeit, in der man Kampf allenfalls reglementiert und kontrolliert noch in sportlichen Wettkämpfen duldet, würde man diese Realität natürlich am liebsten ausblenden. Und doch ist Kampf eine anthropologische Konstante, denn er war, ist und wird zu allen Zeiten notwendig sein. Umso mehr gilt dies für den Katholiken, allerdings aus einer übernatürlichen Perspektive heraus. Nach der Lehre der Kirche wird beim Sakrament der Firmung der Heilige Geist in die Herzen der Firmlinge eingegossen und dieser „vermehrt in ihnen die Kraft und Stärke, damit sie im geistigen Kampfe männlich streiten und den schlimmen Feinden widerstehen können“10 So ist die Firmung nichts anderes als die Heranbildung von Soldaten Christi, um für Gott und sein Reich zu kämpfen. Jeder Katholik muss für Christus kämpfen und den Glauben verteidigen – gilt das dann nicht auch gerade für uns, die Katholiken dieser Zeit? Wir leben heute in einer Welt, in der die Irrtümer des Liberalismus und des Modernismus in der Kirche triumphieren und die Gläubigen in die Apostasie führen, einer Welt, in der die Feinde des Glaubens herrschen und Katholiken um ihres Glaubens willen zu Tode gehetzt werden, einer Welt, in der Moral- und Sittenlosigkeit die Regel sind und das Widernatürliche die Maßstäbe setzt. Es ist also unsere unbedingte Pflicht, zu kämpfen, doch werden wir als Katholiken in diesem übernatürlichen Kampf nicht auf Erden siegen, nein, unser Triumph wird – so Gott will – in der Ewigkeit sein. Gott will aber diesen Einsatz für ihn, für den Glauben, für seine Kirche von uns sehen. Er will, dass wir in Demut und ständiger Opferbereitschaft für das Christkönigtum in der Welt kämpfen und uns gegen die Versuchungen der Welt zur Wehr setzen wie auch gegen die Bequemlichkeit in uns, die uns einlullen und mit einem falschen Frieden betören will. Er fordert dies alles von uns, er erwartet von uns, dass wir unseren Dienst verrichten, dass wir nicht wegsehen und schweigen.

 

Ist es nicht an der Zeit, den Kampf zu beenden?

Während des Pontifikats von Benedikt XVI. gab es nicht wenige traditionalistische Stimmen, die auch für die Priesterbruderschaft St. Pius X. eine Haltung einforderten, wie sie den Ecclesia Dei-Gemeinschaften eigen ist. Man hörte damals oft das Argument, nun müsse doch endlich die ständige Kritik am liberalen Rom eingestellt werden, schließlich sei Papst Benedikt XVI. doch wesentlich weniger liberal und modernistisch als Johannes Paul II. Die Zeit schließlich verwies all diese Hoffnungen auf traditionalistischer Seite ins Reich der Träumereien. Gewiss war Benedikt XVI. nicht das Kaliber eines den Koran küssenden Papstes und er war wenigstens graduell in Philosophie und Theologie näher an der Tradition.12 Doch hörte er nie auf, das Zweite Vatikanische Konzil in seinen Neuerungen zu preisen und verteidigte es mit dem bemühten Versuch einer „Hermeneutik der Kontinuität“. Anschließend kam es – so können wir zumindest bis heute schmerzerfüllt behaupten – noch dramatischer für unsere Mutter Kirche: Papst Franziskus bestieg den Thron Petri. Seitdem vergeht kaum eine Woche, in der glaubenstreuen Katholiken nicht der Atem stockt über die Äußerungen und Handlungen des regierenden Pontifex: über die Fußwaschung bei Muslimen und Frauen in einem Gefängnis, das Ablegen eines Wasserballs auf einen Sühnealtar der Muttergottes als „Geschenk“, die erschütternden Interviews, in denen er etwa das Gewissen des Subjekts zum alleinigen Maßstab für Gut und Böse erhob, oder die Beleidigungen der Traditionalisten als Rosenkranzperlen zählende Hinterwäldler – ganz zu schweigen von seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium, in dem ein bunter Strauß moderner Irrtümer enthalten ist: Demokratie in der Kirche, Kollegialität, „Kirche von unten“, Ökumenismus und interreligiöser Dialog, Befreiungstheologie und „Kirche für die Ränder“, rein innerweltliche Erlösung von Armut, Unterdrückung und Ausgrenzung.

Ist die Kirchenkrise also nicht mehr so furchtbar wie noch vor Jahren? Gibt es Gründe oder wenigstens Anzeichen dafür, den Kampf einzustellen? Nein! Das Zweite Vatikanische Konzil mit seinen Irrtümern wird weiterhin vom liberalen Rom als „Super-Dogma“ (Kardinal Ratzinger) gefeiert, die Kirche ist in einem dramatischen Zustand, viele Katholiken sind bereits seit Jahren vom Glauben abgefallen und selbst diejenigen, die eine Ecclesia Dei-Haltung einnehmen, wie etwa die Franziskaner der Immaculata, sehen sich heftigen Angriffen vonseiten des Vatikans ausgesetzt und blicken einer ungewissen Zukunft entgegen.

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. darf daher den Kampf gegen Liberalismus und Modernismus für die Rettung der Seelen nicht aufgeben. Sie muss weiterhin in der Weltöffentlichkeit die Stimme der Tradition sein und ihre Aufgabe, den heiligen Schatz des Glaubens treu zu bewahren und weiterzugeben, erfüllen – unabhängig von den Anfeindungen der Welt. Aber auch unbeirrt von vereinzelten Stimmen in ihrem Innern, die einen Gegensatz von Glauben und Liebe zu konstruieren versuchen und die Einstellung des Kampfes fordern, weil sie diesen fälschlicherweise mit Lieblosigkeit gleichsetzen. Das Gegenteil ist der Fall: Charitas Christi urget nos! – „die Liebe Christi drängt uns!“ (2 Kor 5,14). Die Kritik der FSSPX muss aus Liebe und Schmerz geschehen und darf sich nicht von bösen Leidenschaften, einem bitteren Eifer oder Hochmut und Stolz erfüllen lassen. Der Pseudo-Traditionalismus ist jedenfalls nicht der Weg, um alles in Christus zu erneuern, und so darf die FSSPX angesichts der andauernden Krise nicht schweigen. Sie darf sich nicht einreihen in die Gemeinschaften, die „nur“ die tridentinische Messe lesen und sonst im Schweigen verharren. Es ist sicher nicht ohne Mühen, den guten Kampf zu kämpfen, doch es ist schlicht und ergreifend notwendig, dass jemand diesen GottesDienst verrichtet. Erzbischof Lefebvre tat dies – seinen Erben zum Vorbild.