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Organspende – Ein Akt christlicher Nächstenliebe?

Erschienen in:
DGW-2012-1-Organspende(

„Ihr Kind ist tot: Es sind keine Hirnströmungen mehr messbar. Denken Sie doch an die vielen Menschen, die in Lebensgefahr schweben. Mit ihrem „JA“ können Sie ein anderes Leben retten. Je schneller Sie sich entscheiden, umso besser ist der Zustand der Organe! Auch wenn Ihr Kind mit Hilfe der Maschine noch atmet – es hat keine Überlebenschance. Der Kreislauf wird früher oder später zusammenbrechen und Sie werden ein kaltes Kind vor sich haben, ohne die Chance der Nächstenliebe genutzt zu haben.“ – So ungefähr kann es sich anhören, wenn es um Leben und Tod geht. Der Freiburger Theologieprofessor Joseph Schumacher äußert sich dazu folgendermaßen: „Man ersehnt sich den Tod eines Menschen, um das Leben eines anderen Menschen retten zu können.“1

Gleich zu Beginn möchte ich festhalten, dass es mir nicht darum geht, einen wissenschaftlich und medizinisch hoch komplexen Bericht zu verfassen. Mein Ziel ist es lediglich, Euch, liebe KJBler, einen kurzen, aber klaren Einblick in das Thema der Organspende zu geben. Aus diesem Grunde scheint es mir wichtig, zuerst die grundlegenden Dinge im Bereich der Organtransplantation zu klären.

Unter einer Organtransplantation versteht man die Verpflanzung eines Körpergewebes. Die heutige Medizin unterscheidet zwischen einer Organspende nach dem Tod und einer Lebendspende. Eine Lebendspende kann, wie der Name schon sagt, vorgenommen werden, solange der Mensch noch lebt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Nierenspende. Jeder gesunde Mensch hat zwei Nieren und hat somit die Möglichkeit eine davon zu spenden, ohne sein Leben in Gefahr zu bringen. Mit einer Organspende nach dem Tod ist die Spende eines oder mehrerer Organe nach dem festgestellten Hirntod gemeint.

Und nun stecken wir schon mitten in der Diskussion, in welcher uns zahlreiche Fragen durch den Kopf gehen: Wann ist eine Organentnahme gesetzlich erlaubt? Was sind die Bedingungen dabei? Was versteht man unter dem Hirntod? Was bedeutet eine Organentnahme fürdas mitwirkende Personal? Wie können die Angehörigen mit dem plötzlichen Tod umgehen? Und schließlich: Wie können die Organempfänger selbst mit der physischen und psychischen Belastung umgehen? All diese Fragen sollen geklärt werden, um schlussendlich sagen zu können, ob es sich bei der Organspende nun wirklich um christliche Nächstenliebe handelt.

Gesetzliche Vorgaben

Wann eine Organentnahme erlaubt sein soll, wurde in verschiedenen Staaten gesetzlich geregelt. So gilt sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz die erweiterte Zustimmungsregelung, was bedeutet, dass „der Verstorbene […] zu Lebzeiten, z. B. per Organspendeausweis, einer Organentnahme zugestimmt haben muss. Liegt keine Zustimmung vor, können die Angehörigen über eine Entnahme entscheiden. Entscheidungsgrundlage ist der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des Verstorbenen“2. In Österreich wie in anderen europäischen Ländern hingegen hat die sogenannte Widerspruchsregelung Allgemeingültigkeit: „Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, z. B. in einem Widerspruchsregister, so können Organe zur Transplantation entnommen werden. In einigen Ländern haben die Angehörigen ein Widerspruchsrecht.“3

Hier sehen wir also bereits schon die Notwendigkeit, uns mit diesem Thema zu befassen, denn haben wir unseren Willen nicht schon frühzeitig festgelegt, so kann es – je nach dem, in welchem Land wir uns befinden – vorkommen, dass gegen unseren Willen gehandelt wird.

Nachdem wir nun gesehen haben, was alles zu einer gesetzlichen Erlaubnis einer Organentnahme gehört, stellt sich uns die Frage, in welchen Lebenssituationen nun wirklich eine solche Entnahme vorgenommen wird. Auch dies wurde vom Staat wie folgt formuliert:

„Das Transplantationsgesetz (TPG) schreibt in § 3 Absatz 1 die Feststellung des Todes als Voraussetzung für die Organentnahme vor nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Die Bundesärztekammer erstellt Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes, die Verfahren und Ablauf genau festlegen (§ 16 Absatz 1).

Als Hirntod wird der Zustand der irreversibel erloschenen Funktionen des gesamten Gehirns, also des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms, bezeichnet. Dabei wird durch Beatmung und Medikamente Herz- und Kreislauffunktion des Verstorbenen künstlich aufrechterhalten.

Das Gehirn ist übergeordnetes Steuerorgan aller elementaren Lebensvorgänge. Mit seinem Tod ist auch der Mensch in seiner Ganzheit gestorben.

Der Hirntod des Organspenders muss gemäß § 5 TPG von zwei dafür qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander festgestellt werden. Sie dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des Organspenders beteiligt sein, noch der Weisung eines beteiligten Arztes unterstehen.“4

So scheint dieses Thema auf den ersten Blick wunderbar abgesichert und der hirntote Mensch als absolut tot. Wie es aber zu dieser neuen Definition des Todes kam und was ein hirntoter Mensch noch alles kann, ist in diesen Paragrafen leider nicht enthalten. Aus diesemGrunde möchte ich diese beiden Punkte etwas genauer erläutern:

Bis 1968 war weltweit anerkannt, dass der Mensch dann tot ist, wenn sein Herz-Kreislauf-System unwiderruflich stillsteht. Eine Leiche war ohne Herzschlag, ohne Reflexe, starr, kalt und wies alsbald Leichenflecken unter der Haut auf.

„Ein totes Organ ist [aber] unbrauchbar für eine Transplantation. Die zu transplantierenden Organe müssen vor der Transplantation noch Lebenszeichen geben. Sie können nur dann transplantiert werden, wenn sie bis zur Entnahme durchblutet geblieben sind. Verwendet werden können daher für Transplantationen de facto nur die Organe eines für tot erklärten Menschen. Die Basis dieser Todeserklärung ist der Hirntod“5 – so Prof. Dr. Joseph Schuhmacher.

Aus diesem Grunde wurde seit der ersten Herztransplantation eine neue Definition für den Tod aufgestellt, um sich nicht dem Vorwurf des Mordes auszusetzen und dennoch Organe zur Transplantation gewinnen zu können. So musste der Todeszeitpunkt vorverlegt werden. Seitdem gibt es „Leichen“, die schwitzen, atmen, frieren, usw.

Hirntote Menschen können immer noch:

• atmen, schwitzen oder frieren, Fieber haben, sich im Bett aufrichten, um sich schlagen oder treten, das Pflegepersonal umarmen (komplexe Spinalreflexe), eine rosige Haut oder sonnengebräunte Haut aufweisen etc. Ihr Herz kann immer noch schlagen, sie weisen einen intakten Stoffwechsel auf und fühlen sich warm an.

• Ihre Glieder sind immer noch beweglich, der Brustkorb hebt und senkt sich.

• Die Ausscheidung funktioniert – sie können sogar weinen.

• Wunden würden immer noch heilen und sich schließen.

• Männliche „Leichen“ könnten immer noch Kinder zeugen.

• Weibliche „Leichen“ könnten noch 3 bis 4 Monate Kinder austragen und gebären.

Zusätzlich muss man bedenken, dass der Hirntod durch eine Messung der Hirnströmungen festgestellt wird. Diese Messungen können sowohl richtig als auch falsch sein. Genauso wie jede andere Messung auch.

Ein anderer wissenswerter Aspekt ist, dass die Hirntoddefinition immer wieder Änderungen unterworfen ist. Sie wurde zwischen 1968 und 1978 schon mindestens 30 Mal grundverschieden definiert. Dies könnte etwas zugespitzt bedeuten, dass man in 30 Jahren schon unter die Hirntoten gezählt wird, sobald man sich nicht mehr verständlich machen kann.

Der Todeseintritt wird somit auf einen einzigen Zeitpunkt und auf ein einziges Organ fixiert, wodurch nicht nur der prozesshafte Charakter des Sterbens im biologischen Sinne, sondern der Sterbende an sich und das Sterben als ein soziales Ereignis grundlegend verleugnet wird.

„… nach naturwissenschaftlich gesicherten Kriterien ist dieser Körper lebendig. Er kann und darf daher nicht als Leiche bezeichnet werden. Dies gilt selbst für den tierischen Organismus und die gesetzlichen Bestimmungen für Tierversuche!“6

„Eine wirkliche Leiche ist für die Organentnahme ungeeignet. Will man Organtransplantation, dann muss man akzeptieren, dass man die Organe einem lebenden Menschen entnimmt, dessen Hirn irreversibel geschädigt ist.“7

 

Die Organentnahme

Schließlich möchte ich wegen der Grausamkeit nur einen kurzen Abschnitt aus der Informationsschrift „Organspende – eine gemeinsame Aufgabe“ zitieren, wo beschrieben wird, wie eine Organentnahme vorgenommen werden muss. Der Organspender wird hierzu normalerweise auf einem Operationstisch festgeschnallt:

„Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die zu entnehmenden Organe mit einer speziellen Lösung perfundiert werden, sichert der Anästhesist8 eine ausreichende Sauerstoffversorgung, eine optimale Herzkreislauffunktion und eine ausgeglichene Homöostase. Dazu ist eine adäquate Volumentherapie unter Berücksichtigung der Serumelektrolyte und der hämodynamischen Parameter notwendig. Daneben ist eine differenzierte Katecholamintherapie sowie eine der Blutgasanalyse angepasste Beatmung erforderlich.“9

Und weiter heißt es: „Mit der Perfusion der Organe durch gekühlte Konservierungslösung enden alle organprotektiven Therapiemaßnahmen einschließlich der Beatmung. In der Folge kommt es zu einer Bradycardie10 und schließlich zur Asystolie11. Es empfiehlt sich daher, die Monitorfunktionen zu deaktivieren. Für das Anästhesie-Team, das zum ersten Mal eine Explantation betreut, kann dieser Moment irritierend wirken. Allen Beteiligten muss aber bewusst sein, dass der eingetretene Tod des Patienten im Vorfeld der Organentnahme sicher diagnostiziert wurde. Mit der Asystolie beginnt lediglich der bisher intensivmedizinisch verzögerte biologische Absterbeprozess des Körpers.“12

Nun kann, soll und muss man sich aber fragen: Seit wann wird ein toter Mensch beatmet? Seit wann misst man bei einem verstorbenen Menschen noch die Sauerstoffwerte? Und schließlich: Wie kann bei einem toten Menschen noch der Kreislauf zusammenbrechen? Muss man hier nicht doch Robert Spaemann, ehemals Professor für Philosophie an der Universität München, recht geben, wenn er sagt: „Wenn die Wissenschaft die Existenz der Todeszeichen, wie sie der gesunde Menschenverstand wahrnimmt, in Frage stellt, geht sie nicht mehr vom normalen Verständnis von Leben und Tod aus. Tatsächlich setzt sie die normale menschliche Wahrnehmung außer Kraft, indem sie den Menschen für tot erklärt, die noch als lebend wahrgenommen werden. Hirntote Menschen sind nicht tot, sondern Sterbende.“13

Ein traumatisierender Vorgang?

Nachdem wir nun über den unwürdigen Akt einer Organentnahme aufgeklärt sind, verwundert es uns nicht, wenn sich medizinisches Personal, wie Operationsschwestern, Anästhesisten und involviertes Pflegepersonal, besonders drastisch heftigen Gewissenskonflikten ausgesetzt sehen. Denn sie erleben – im Gegensatz zu den verschiedenen kommenden und gehenden chirurgischen Teams – eine Explantation, länger, teilweise von Anfang bis zum Ende mit.

Der Moment, in dem sich der hirntote Patient in eine herztote Leiche verwandelt, wird vom Pflegepersonal häufig als traumatisches Ereignis erlebt, denn dieser Vorgang erfolgt durch medizinisches Handeln und das Sterben ist auf dem Operationstisch direkt visuell beobachtbar.

Eine österreichische Anästhesieschwester schildert die dabei aufkommende eigenartige Atmosphäre: „In dieser Situation ist eine gewisse Spannung: Vorher ist man beschäftigt und gibt dem Patienten Medikamente – da ist etwas zu tun – und dann kommt der Augenblick, indem der Patient sehr viel Blut verliert und man steht daneben und schaut zu, wie das Herz aufhört zu schlagen. Für mich ist diese Situation furchtbar.“ Doch die Organentnahme ist nicht nur für das medizinische Personal, sondern auch für alle anderen Beteiligten eine enorme psychische Belastung. Bei vielen Angehörigen eines Organspenders fällt auf, dass extreme Trauer, Reue und Schuld einsetzen, nachdem sie einer Organspende zugestimmt haben. Sie fragen sich beständig, ob ihre Entscheidung richtig gewesen sei. Auch die Vorstellung, dass Teile eines geliebten Menschen in einem anderen Menschen weiterleben, macht vielen schwer zu schaffen.

Die Mutter eines „Organspenders“ erklärt: „Unsere Kinder sind mit nicht mehr funktionierendem Gehirn, aber doch bei lebendigem Leib auseinandergenommen und verteilt worden. Diese Vorstellung, dass der noch lebende Leib ihrer Kinder zerteilt wird, im hilflosesten Zustand, zu einem Zeitpunkt, als sie hätten beschützt werden müssen, macht Mütter krank, so krank, dass sich viele von ihnen in psychiatrische Behandlung begeben müssen.“14

Und schließlich ist die Organspende auch für den Empfänger eine große physische und psychische Belastung. Zwischen 50 und 70 Prozent aller Empfänger von lebenswichtigen Organen leiden an Persönlichkeitsveränderungen, Identitätskonflikten, Angst und Depressionen.15 In den ersten beiden Wochen nach der Operation können bei Organempfängern Wahnzustände, im weiteren Verlauf Depressionen, Psychosen und selbst Suizidgefährdung auftreten.

Die Vorstellung, dass der Spender in dem Empfänger weiterlebt, ist eine gängige Begleiterscheinung. In den Organempfängern kommen häufig quälende Fragen auf, wie: Ist es mein Herz oder sein Herz, das in mir schlägt? Wer war dieser Organspender? Ist es richtig, mit dem Organ eines Toten zu leben?

Die Frau eines Lebertransplantierten berichtet, dass die Wartezeit für ihre gesamte Familie eine extreme Belastung war. Jederzeit konnte der Ruf erfolgen, mit all den Ängsten: Wird rechtzeitig ein passendes Organ gefunden? Wird die Operation gelingen?

Damit das Organ von dem Körper nicht wieder abgestoßen wird, müssen lebenslänglich Medikamente eingenommen werden. Diese beeinträchtigen die Gesundheit weiterhin und man ist und bleibt abhängig von ärztlicher Betreuung.

Um nochmals auf die etwas provokative Überschrift dieses Beitrags zurückzukommen – Organspende – ein Akt christlicher Nächstenliebe? –, so glaube ich, ist uns allen klar geworden, dass eine Lebendspende, vor dem Tod und somit auch vor dem Hirntod ganz klar ein großer Akt der christlichen Nächstenliebe ist: Denn man verschenkt einen Teil von sich selbst an den Nächsten. Natürlich gilt dies nur unter der Bedingung, dass man sein eigenes Leben dadurch nicht in Gefahr bringt. Bei einer Organspende nach dem „Tod“ kann man eindeutig keine christliche Nächstenliebe entdecken, sondern eher einen Akt gegen das fünfte Gebot Gottes: Du sollst nicht töten. Denn es wird jemand getötet, um einem anderen Menschen das Leben zu verlängern. Bitten wir also Gott, allen betroffenen Personen, die Kraft zu geben, standhaft zu bleiben und in keine Organtransplantation nach dem „Tod“ einzuwilligen.

 

Anmerkungen:

1 gefunden am 09.01.2012 unter http://www.kath.net/detail.php?id=34632

2 gefunden am 30.12.2011 unter http://www.organspende.de/popups/p029.html

3 gefunden am 30.12.2011 unter http://www.organspende.de/popups/p029.html

4 gefunden am 30.12.2011 unter Todesfeststellung, Gesetzliche Regelung: http://www.organspende.de/popups/p029.html

5 gefunden am 09.01.2012 unter http://www.kath.net/detail.php?id=34632

6 Prof. Dr.Dr. Gerhard Roth, Institut für Hirnforschung, Universität Bremen, 27.6.1995 in Bonn

7 ebenda

8 Unter Anästhesie versteht man den völligen Verlust bzw. die vollständige Ausschaltung der Empfindungen, insbesondere der Schmerz- und Berührungsempfindung. Diese dient dem Zweck einer operativen oder diagnostischen Maßnahme. Ein Anästhesist ist der Facharzt, der diese durchführt.

9 Deutsche Stiftung Organtransplantation (Hrsg.): Organspende – eine gemeinsame Aufgabe. Neu-Isenburg 2003, Kap. 7: Organentnahme, S. 2

10 verminderte Herzfrequenz

11 fehlende Kontraktion des Herzens

12 Deutsche Stiftung Organtransplantation (Hrsg.): Organspende – eine gemeinsame Aufgabe. Neu-Isenburg 2003, Kap. 7: Organentnahme, S. 3

13 Spaemann, Robert: Auf Leben und Tod. In: Publik-Forum. Kritisch – christlich – unabhängig, Nr. 16/2011, S. 30

14 Greinert, Renate: Organspende – nie wieder. In: Organspende – Kritische Ansichten zur Transplantationsmedizin. Göttingen (Lamuv) 1993, S. 85

15 Bergmann, Anna: Tabuverletzungen in der Transplantationsmedizin. In: Radio Vorarlberg ORF.at Fokus vom 8. März 2008: Themen fürs Leben, von Franz-Josef Köb (audio)