Unsere Mediathek

Pfarrer Hans Milch – eine große Stimme des katholischen Glaubens

Erschienen in:
dgw-multikultur

Das Jahr 2012 ist in vierfacher Hinsicht ein Gedenkjahr an Pfarrer Milch. Vor 50 Jahren wurde er Pfarrer von St. Martinus in Hattersheim am Main, vor 40 Jahren gründete er die Gebets- und Sühnegemeinschaft actio spes unica, vor 30 Jahren fand die Einweihung der von ihm erbauten Kirche St. Athanasius in Hattersheim statt, und vor 25 Jahren wurde er von einem geistig gestörten Menschen ermordet.

 

1. Eckpunkte seiner seelsorgerlichen Tätigkeit

Seine Traueransprache bei der Beerdigung von Pfarrer Milch begann der damalige Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X., Pater Franz Schmidberger, mit den Worten: „Eine große Stimme des katholischen Glaubens ist verstummt.“

In der Tat war dieser Priester eine große Stimme des katholischen Glaubens. Als er durch die Unterweisung eines katholischen Priesters in amerikanischer Kriegsgefangenschaft der katholischen Kirche ansichtig wurde, da erfasste ihn eine große Begeisterung für sie, die sein ganzes priesterliches Wirken kennzeichnete. Diese Begeisterung wollte er weitergeben, und er konnte es sowohl durch die inhaltliche Stärke seiner Predigten als auch aufgrund seiner einzigartigen Begabung als Redner. Natürlich war die Faszination, die er ausübte, auch eine Folge seiner menschlichen Qualitäten, von denen ich nur seine Sensibilität, sein außergewöhnliches Einfühlungsvermögen in die Situation, insbesondere in das Leid des je Einzelnen hervorheben möchte. In besonderer Weise nahm er sich heruntergekommenen Menschen an und suchte sie auch im berüchtigten Frankfurter Bahnhofsviertel auf.

Seine Glaubensverkündigung zielte auf das, was die Oration zum vierten Sonntag nach Ostern mit den Worten ausdrückt: „Auf dass unsere Herzen inmitten des Wechsels der irdischen Dinge dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.“

Aber auf welche Weise versuchte Pfarrer Milch dieses Ziel zu erreichen? Die folgenden Akzente, die wir in Bezug auf seine Predigt setzen, mögen das verdeutlichen:

 

1.1. Das richtige Erlösungsbewusstsein

Es kam Pfarrer Milch darauf an, die Erlösung zu einer erlebten Wirklichkeit im Bewusstsein der Gläubigen werden zu lassen; von ihr her sollten alle Lebensbereiche Sinn und Weisung erhalten. Das richtige Erlösungsbewusstsein beginnt mit der Erkenntnis totaler Erlösungsbedürftigkeit.

Dieser Erbärmlichkeit des Menschen stellte er die Größe des mit Christus verbundenen Menschen gegenüber. Die Polarisierung – nichts aus eigenem Vermögen, aber alles in Ihm – war ein Spezifikum der Predigt von Pfarrer Milch. In diesem Zusammenhang verwies er auf die Verheißung unseres Herrn am Ende des Laubhüttenfestes, die ihm besonders am Herzen lag: „Wer an Mich glaubt – wie die Schrift sagt –, „Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Schoße fließen“ (Joh 7,38).

Die Erlösungsfreude, die Pfarrer Milch verkündet, hat natürlich nichts zu tun mit dem flachen, universalen Heilsoptimismus der Modernisten. Jene Freude ist vielmehr aufs Engste verbunden mit dem Heilsernst. Erlösungsfreude und Heilsernst sind bei ihm sich ergänzende Elemente des Erlösungsbewusstseins. So liest man in einem seiner Sonntagsbriefe:

„Der absolute Heilsernst hängt unlösbar mit der vollkommenen Freude zusammen. Wer ‚sein Heil wirkt in Furcht und Zittern’, misstraut der tiefsten Echtheit seines eigenen Willens und seiner innersten Beweggründe. … ‚Mit Furcht und Zittern’ – das heißt eindeutig: fern jeglicher Sicherheit, die im eigenen Willen bzw. in eigener Bewährung gründet, in Angst vor den chaotischen Möglichkeiten der eigenen Tiefe, vor dem eigenen Willen: ‚Den fürchtet!’ ruft Christus, weil dieser Wille in die Hölle stürzen kann. Unendlich mächtiger aber ist unser erlösendes Vertrauen in den, der ‚größer ist als unser Herz’, ein dynamisierendes, erstaunliche Werke der Hingabe gebärendes Vertrauen! Wehe dem aber, der sich selbst vertraut!“

 

An anderer Stelle heißt es dazu:

„‚Aber unsere Religion ist doch eine Erlösungsreligion! Wir haben es doch mit einer Frohbotschaft und nicht mit einer Drohbotschaft zu tun!’ Dieses Geschwätz der Unmündigen, die mit ihrer eingebildeten ‚Mündigkeit’ kokettieren, schwadroniert heutzutage kreuz und quer durch die Stoppelfelder kirchlicher ‚Selbst’-Darstellung. Unsere Erlösung ist unabdingbar und begrifflich notwendig gebunden an drohende Verdammnis. Die Frohbotschaft des Christus ist als Frohbotschaft notwendig auch Drohbotschaft.“

 

1.2. Von Wahrheit und Moral

Auch Pfarrer Milch war aus der Seelsorge das Phänomen vertraut, dass am Glauben interessierte Menschen oft noch ganze Berge irriger Meinungen, Verhaltensweisen oder auch äußerlich sichtbarer moralischer Schwächen mit sich herumschleppen. Er war jedoch überzeugt, dass die Vermittlung der Wahrheit fruchtbarer ist als der erhobene Zeigefinger:

„Wenn du einen zu Christus führen willst, dann darfst du nicht damit anfangen: ‚Er will von dir dies und verbietet dir das andere.’ Wie falsch ist das! Jesus heißt: ‚Sei getrost, Ich bin es. Du wartest auf jemanden? Du bist einsam? Du bist unverstanden? Du hast eine innere Not? Dir hängt alles zum Halse heraus? Dir ist alles nicht genug? Ja, es ist richtig, dass dir nichts genug ist. Es kann dir nichts genug sein, denn du bist aus deinem innersten Wesen heraus unersättlich.’ … Der Mensch kennt keine Grenze und kann es an keiner Grenze aushalten. Wir sind nun einmal nicht bescheiden. Die [geistige] Bescheidenheit ist eine Tugend für Dämliche, die nicht merken, was sie eigentlich aus ihrem innersten Wesen heraus sind und wohin sie drängen, nämlich nach Unendlichkeit, nach allem. Jawohl, ich will alles: endlose Lust, Macht, Besitz, Ruhm.

Jede Grenze ist Hölle. Wo die Grenze gesetzt wird, ist dabei gleichgültig. (…)

Deshalb bedarfst du dessen, der dir sagt: ‚Ich weiß um dein Leiden und Ich verstehe Dein Leiden. Wenn niemand dein Leiden versteht, Ich verstehe es. Du verlangst und kannst gar nicht anders als nach Endlosigkeit verlangen. Hier bin Ich und biete dir die Endlosigkeit, jetzt schon geheimnisvolle Macht, jetzt schon im Kreuze, das Ich mit dir trage. Jetzt schon ist deine Einsamkeit durchbrochen. Und es geschieht ganz schnell, die Jahre rauschen vorüber, dann geht das Tor auf und dann werden alle deine Sehnsüchte durch die Gnade des unendlichen Erbarmens erfüllt. Alles Verlangen wird gestillt, alle Sehnsucht in Hülle und Fülle gestillt.’“

Spricht sich Pfarrer Milch in diesen Darlegungen dafür aus, an der Verpflichtung zu einem Leben nach den Geboten unseres Herrn und Seiner Kirche Abstriche zu machen? Davon kann gar keine Rede sein! Er spricht sich aber dagegen aus, bei der Hinführung des Menschen zum Glauben mit der Moral den Anfang zu machen.

 

1.3. Der Vorrang des Einzelnen vor der Gemeinschaft

Wenn man die Forderung nach dem Primat des Einzelnen vor der Gemeinschaft im Sinne von Pfarrer Milch verstehen will, dann muss man zwischen einem niederen und einem höheren Begriff von Gemeinschaft unterscheiden. Der niedere Begriff meint ein Miteinander im Nebeneinander; er bezeichnet das Gemeinschaftsverständnis der Progressisten, das von unten kommt, basisdemokratisch orientiert ist und als solches die Sphäre des Einzelnen zu zerstören trachtet. Der niedere Begriff von Gemeinschaft ist somit der Kollektivismus, über den er sagte:

„Unter Kollektivismus verstehen wir jene falsche ‚Gemeinschafts’-Haltung und -Gestaltung, welche die Einzelnen unter einem willkürlichen, von unten kommenden Vorzeichen sammelt und damit um ihre Würde und Einmaligkeit betrügt. (…) Wenn am Anfang das ‚Wir’ steht, in das der Einzelne sich einzufügen habe, um des Christusgeistes teilhaftig zu sein, so ist das die antichristliche Umkehrung der von Gott gesetzten Ordnung. In ihr nämlich steht am Anfang ER, Sein Angebot und Seine Tat. Sie weckt des Einzelnen Entscheidung und Hingabe.

Aus ihr ergibt sich die Gemeinschaft. In die Gemeinschaft wachse ich nicht, um des Gottmenschen in ihr teilhaftig zu werden, sondern weil ich Seiner inne bin: Einander erkennen in dem, was der Einzelne ersah – das ist jeder wahren Christusgemeinschaft Ursprung und Leben.

(…) Wo gelehrt wird, das Ich erstehe aus dem Wir, da waltet die Lüge; und die Lüge gebiert tödlichen Massenwahn der Erdenhoffnung, der Ein-Welt, Abbau der Unterschiede, Abbau der Tradition, Geschichtsfeindlichkeit. …

Die Kirche als solche hat immer ihren Pakt mit dem Einzelnen geschlossen, so wahr sie die Kirche ist. Aus der Begegnung des Einzelnen in der senkrechten Dimension ergibt sich erst wahre Gemeinschaft. Wo ‚Gemeinschaft’ am Anfang steht, ist sie keine. Da handelt es sich vielmehr um Kollektiv, um entwürdigende und einebnende Masse. In wahrer Gemeinschaft ist jeder Einzelne Mitte. ‚Du folge mir nach!’ Der Anruf geht immer an ein Ich, an ein Du, nicht an ein Kollektiv, auch an kein Kollegium.“

Pfarrer Milch ging es also um den höheren Begriff von Gemeinschaft, der an die Stelle des Mit- und Nebeneinander ein Für- und Ineinander setzt, was verwirklicht wird, wenn sich Menschen ihres Wertes in Christus bewusst sind und sich Ihm verschwören. Und damit der höhere Begriff von Gemeinschaft ins Blickfeld treten kann, muss er beim Einzelnen verankert werden. Diesen anspruchsvollen Begriff von Gemeinschaft wollte er vermitteln.

 

2. Kampf gegen die Selbstzerstörung der Kirche

 

2.1. Zur Auseinandersetzung von Pfarrer Milch mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Was die Auseinandersetzung mit dem Pastoralkonzil betrifft, so liegt das Hauptverdienst von Pfarrer Milch auf der philosophisch-theologischen Ebene. Er war ein großer Verteidiger der unteilbaren Einheit der katholischen Kirche und erkannte einen folgenschweren Fehler des Pastoralkonzils darin, dass es diese Einheit in Teile zerstückelte und die Kirche als aus Teilen, aus Elementen, zusammengesetzt versteht, wofür er den Begriff Additismus prägte.

Besonders hervor tat sich Pfarrer Milch in der Analyse des Konzilsdokuments Gaudium et spes, jenes Dokumentes, welches so trivial und scheinbar human daherkommt, sodass es von Dr. Dr. Gregorius Hesse „Gaudi und Spesen“ genannt wurde. Doch gerade in dieser scheinbaren Belanglosigkeit sah Pfarrer Milch das Problem der atmosphärischen Einwilligung in die Eine-Welt-Vorstellung der Freimaurerei.

 

Gaudium et spes 12.1.: „Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nichtgläubigen, dass alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hingeordnet ist.“

 

Pfarrer Milch: „Dieser Satz ist ein Skandal. Die Auffassung von dem, was der Mensch ist, unterscheidet uns ja gerade, und zwar fundamental. Hier aber wird so getan, als hätte die Sorge um den Menschen ein gemeinsames Fundament zwischen Atheisten und Christen, zwischen denen, die dem Rat der Schlange folgen: Löst euch von Gott, dann werdet ihr aus euch selber werden wie Gott und bestimmen, was gut und böse ist, und denen, die sich dem Willen Gottes unterwerfen.“

 

Gaudium et spes 16: „Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der Einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.“

 

Pfarrer Milch: „Das ist des Teufels. … Unsere Suche ist die Suche in der Wahrheit, um sie immer tiefer zu erfassen, aber nicht die Suche nach der Wahrheit, denn wir sind als Erlöste in ihr.“

 

Gaudium et spes 23.1: „Zur Förderung dieser Gemeinschaft der Personen bietet die christliche Offenbarung eine große Hilfe“.

 

Pfarrer Milch: „Wie bescheiden, was für eine unsagbare Demut, in Anführungszeichen. Eine bösartige, satanische Demut. Hilfe! Haben wir Hilfestellung zu gewähren? Wir haben das einzig denkbare Glück zu vermitteln!“

 

Gaudium et spes 43.5: „Durch beharrliches Studium sollen sie [Seelsorger, Ordensleute und Gläubige] sich fähig machen, zum Dialog mit der Welt und mit Menschen jedweder Weltanschauung ihren Beitrag zu leisten“.

 

Pfarrer Milch: „Die Welt ist kein Partner. Sie ist entweder drinnen im geheimnisvollen Leib des Christus und damit in der Kirche, um mit uns identisch zu sein, oder sie ist draußen, dann aber unerlöst und zu ihrem Heile darauf angewiesen, auf unser Angebot einzugehen. Dialog mit der Welt – das ist die teuflische Selbsterniedrigung, sich in die Welt integrieren zu lassen, als Beitrag sozusagen … Oder können Sie sich vielleicht einen Dialog vorstellen zwischen Thomas von Aquin und Willy Brandt? Ich denke, der heilige Thomas wird mir diese kuriose Vision von der Ewigkeit her verzeihen.“

 

Gaudium et spes 77.1.: „In unseren Jahren, in denen die Leiden und Ängste wütender oder drohender Kriege noch schwer auf den Menschen lasten, ist die gesamte Menschheitsfamilie in einer entscheidenden Stunde ihrer Entwicklung zur Reife angelangt.“

 

Pfarrer Milch: „Das ist eine dicke Irrlehre. Es ist völlig unmöglich, dass die Menschheit kollektiv zur Reife kommt, ganz abgesehen davon, dass es der weithin zu machenden Erfahrung absolut widerspricht. Der Mensch ist vom Geistigen in diesem nihilistischen Jahrhundert so tief abgekommen, wie nie zuvor.“

 

Die Konzilskritik von Pfarrer Milch ist durch sämtliche Forschungen zum historischen Ablauf der Konzilssessionen und – noch wichtiger – durch die Strippenzieher der Rheinischen Allianz und Konzilsperiti [die Konzilsväter beratende Theologen, Anm. d. Red.] selbst bestätigt worden: Ja, das sollte ein Umsturz des genuinen Katholizismus sein. Es ist ein Verdienst Pfarrer Milchs, dass er schon früh in den verwirrenden Nebelschwaden der Modernisten, wie sie in den Konzilstexten zu finden sind, keine göttlichen Wunderzeichen sah, sondern sie als Ablenkungsmanöver entlarvte.

 

2.2. Die neue Messe in der Kritik von Pfarrer Milch

Die hl. Messe ist das Herz des katholischen Glaubens. Deshalb verwundert es nicht, dass Pfarrer Milch oft über sie sprach. Hier sei als Beispiel ein Auszug aus seiner 1977 verfassten Schrift „Kleiner Katechismus über den Gehorsam in der katholischen Kirche“ angeführt, in der er auf die Maßstäbe zu sprechen kommt, die an eine Liturgiereform anzulegen sind. Man beachte den Mut, den er mit diesen Äußerungen bewies, denn er war damals noch im Amt als Pfarrer von St. Martinus zu Hattersheim:

„Der gläubige katholische Christ wird an eine veränderte Liturgie folgende Maßstäbe anlegen, um zu erkennen, ob sie vom Heiligen Geist stammt oder nicht:

Wenn eine bestimmte Form heiliger Opferliturgie jahrhundertelang in der heiligen Kirche verbindlich vorgeschrieben und weit verbreitet war, muss sie zum Ausgangspunkt jeder Veränderung gemacht werden. Denn durch Jahrhunderte hin kann nur eine vom Heiligen Geist gewollte Liturgie walten. Ihre Veränderung darf nur aus ihr selbst erfolgen und aus dem, was in der Kirche mittlerweile verheißungsgemäß an Inhaltserkenntnissen über die ein für alle Mal vorgegebene Offenbarungsfülle gewachsen ist. Solche Veränderungen dürfen niemals dem Zeitgeist entnommen werden, sondern werden automatisch, wenn sie dem geistgewirkten innerkirchlichen Entfaltungsprozess entnommen sind, für den kranken Zeitgeist geeignet sein als Hilfe, Gegengewicht und Arznei: je unzeitgemäßer, desto hilfreicher für den Patienten ‚Zeit’. Die in der bisherigen Liturgie vorgezeichneten Linien müssen ausgezogen, vervollkommnet werden im Sinne des Hörbaren und Sichtbaren:

a) der Wesenscharakter himmlischer Entrücktheit;

b) Erhabenheit und majestätische Feierlichkeit;

c) Vorgegebenheit – es muss deutlich zum Ausdruck kommen, dass nicht zunächst die Gemeinde das Opfer darbringt durch ihren ‚abgeordneten Vorsteher’, sondern der Priester, der durch seine Weihe als Christus zu wirken vermag. Aus eigenem, von Christus gegebenem Recht bringt der Priester dem Vater für das Volk das Opfer dar. Er ‚steht’ nicht ‚vor’, er opfert.

Sind diese Wesensmerkmale und die heiligen Gebärden himmlischer Feier, der Ehrfurcht und des Staunens geschrumpft, statt gewachsen zu sein, dann kann der Heilige Geist nicht am Werk gewesen sein!

Eine solche Neuerungsliturgie wird keinen Priester im Gewissen verpflichten. Sie steht da als Zeichen missbrauchten Hirtenamtes und verpflichtet alle Erkennenden und Einsichtigen, vor allem Volk zu erklären: Dies ist nicht die gottgewollte, die katholische Form des heiligen Opfers!

Diese Erklärung allein wird Trost bringen in die Herzen derer, die sich durch die Öde und Wesensfremdheit einer wahrhaft rückschrittlichen Neuerung ‚weinend an den Flüssen Babylons’ finden und nicht in Sion. Die ohnehin Lauen, die sich nur freuen, wenn etwas ‚schneller geht’, sind unmaßgeblich.“

Nach seiner Amtsenthebung konnte Pfarrer Milch die neue Messe noch schärfer angreifen, wobei er sich auch gegen die Auffassung wandte, dass das Hauptübel in Bezug auf diese gewisse Exzesse bei ihrer Zelebration seien. An anderer Stelle zieht Pfarrer Milch folgendes Fazit seiner Kritik an der neuen Messe: „Vor der ‚Zelebration’ des Neuen Ordo der Messe gibt es nur ein Gebot: Halt! Kein Eintritt! Unrein!“

 

3. Die Schicksalsjahre 1979-1987

 

3.1. Die Amtsenthebung von Pfarrer Milch bahnt sich an

Wir kommen nun zum dritten Teil unserer Ausführungen und wollen zunächst einige Überlegungen zu den Gründen anstellen, die zur Amtsenthebung von Pfarrer Milch durch den Bischof von Limburg, Wilhelm Kempf, führten. Sie sollen unseren jungen Lesern einen Einblick geben, welchen Belastungen dieser Priester ausgesetzt war, von denen sie sich wohl kaum eine Vorstellung machen können.

Die Auseinandersetzung mit dem Bischof von Limburg verschärfte sich in dem Maße, wie Pfarrer Milch die Hauptursache für den Zerfall des Erscheinungsbildes der Kirche erkannte.

Hier kann man zwei Phasen unterscheiden: Noch Anfang der Siebzigerjahre zielte seine Kritik vor allem auf die Untätigkeit der Bischöfe bzw. auf die Tatsache, dass sie nur den Exzessen der radikalen Modernisten entgegentraten, z. B. Messfestivals und Fastnachtsmessen, während sie die lebensbedrohende Krise der Kirche, die im Wanken ihrer eigenen Fundamente besteht, ignorierten und sich mit zweitrangigen Themen beschäftigten, anstatt sich den zentralen Aufgaben zuzuwenden. So sagte er z. B.:

„Ein Bischof, der von Konferenz zu Konferenz rast und im Millionenschwarm des dummen Geschwätzes mitmischt, ein Synodalschwafler, der ‚in’ ist im neuesten Schrei von ‚Gruppendynamik’ und psychologischen Modekünsten … – sie alle sind Ohnmächtige, die ihre Jahre vergeuden, gegenüber uns, wenn wir unsere Macht ausüben im erhabenen Schweigen der Gebete!“

Solche Kritik an dem Gebaren der Bischöfe musste zu Spannungen innerhalb der Bewegung für Papst und Kirche führen, die 1969 gegründet worden war und deren Vorsitzender er, im Wechsel mit Professor Walter Hoeres, zeitweise gewesen war. Denn diese Bewegung hatte es sich auf die Fahne geschrieben, Papst und Bischöfe zu unterstützen. Diese Spannungen führten dazu, dass Pfarrer Milch 1975 den Vorsitz in dieser Bewegung niederlegte und bald darauf aus ihr austrat. Rückblickend bemerkte er:

„Ich war in der Bewegung für Papst und Kirche und bin da 1977 hinausgegangen. Es war eine Qual, in ihr zu sein. Da waren viele, die sagten, das Konzil ist wunderbar und dient der religiösen Erneuerung. Wir müssen gehorsam sein und den Bischöfen helfen, damit die Auswüchse eingedämmt werden. Diese spielten im Kuratorium eine große Rolle, und ich war dadurch an Händen und Füßen gebunden.“

Angesichts des Selbstzerstörungsprozesses der Kirche, der sich schon damals abzeichnete, war das Denken und Wollen von Pfarrer Milch von dem Gedanken beherrscht, Gott dem Herrn stellvertretend Sühne zu leisten für die Beleidigungen, die Ihm durch den Einbruch des Modernismus in Seiner Kirche zugefügt werden.

Deshalb rief er 1972 die Gebets- und Sühnegemeinschaft actio spes unica ins Leben. Ihr sollten sich alle anschließen, die gewillt waren, mit ihm ihr Dasein in den Dienst stellvertretender Sühneleistung zu stellen. Die Bezeichnung ist dem alten Passionshymnus Vexilla regis prodeunt entnommen: O crux, ave, spes unica! – „O Kreuz, sei gegrüßt, einzige Hoffnung!“

Die actio spes unica war zunächst eine Gemeinschaft, der man nur durch Ablegen eines Gelübdes beitreten konnte. Für das tägliche halbstündige Gebet hatte er zwei Gebete verfasst, die in einem kleinen Gebetsband zusammen mit zahlreichen anderen Gebeten enthalten sind, welcher auch zwei von ihm verfasste grandiose Hymnen an die Kirche enthält.

1974 entschloss sich Pfarrer Milch, die Sühnegemeinschaft spes unica auch für solche Gläubige zu öffnen, die sich zwar nicht durch ein Gelübde verpflichten wollten, aber dennoch bereit waren, ihr Dasein in den Dienst der Rettung der Kirche zu stellen. Nun wuchs die Zahl der in der actio spes unica vereinigten Katholiken rasant an und stieg bald über 2000.

Das war nur möglich, weil Pfarrer Milch sie intensiv betreute. Er schrieb an sie nicht nur zahlreiche Spes-unica-Briefe, in denen er die oft einsamen Katholiken einerseits in ihrem Glauben stärkte und sie anderseits über die Ursachen der Kirchenkrise aufklärte. Darüber hinaus veranstaltete er etwa alle zwei Monate einen Spesunica- Sonntag, an dem er die überlieferte hl. Messe feierte und anschließend zu einem Zusammensein mit Vortrag und Aussprache einlud. Den Schluss bildete eine Sühneanbetung in der Pfarrkirche.

An den sonstigen Tagen machte Pfarrer Milch, wie einst auch Erzbischof Lefebvre, zunächst einige Zugeständnisse an die Liturgiereform, zelebrierte aber nie die neue Messe.

Eine große Belastung bestand für Pfarrer Milch darin, dass es in der Gemeinde Gegner gab, die vom innerkirchlichen Modernismus infiziert waren, und die den Limburger Bischof über die Predigten dieses Priesters stets auf dem Laufenden hielten.

 

3.2. Die Auseinandersetzung mit dem Bischof von Limburg spitzt sich zu

Wie bereits angedeutet, durchlief Pfarrer Milch hinsichtlich der Beurteilung der kirchlichen Lage in nachkonziliarer Zeit einen Erkenntnisprozess, den man kurz folgendermaßen beschreiben kann: War er zunächst der Überzeugung, dass das Antikatholische, das in zunehmendem Maße den Innenraum der Kirche beherrschte, von außen in sie hineingetragen wurde, so erkannte er im Laufe der Zeit, dass die Hauptschuld an diesem Niedergang die Verantwortlichen in der Kirche trugen.

Dabei kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass deren Schuld nicht nur darin bestand, Irrlehren über den Glauben zu dulden, sondern diese noch zu begünstigen, ja sogar selbst offen mit Irrlehren zu sympathisieren bzw. sie gar zu vertreten. Darüber hinaus geriet auch das Konzil bald in das Visier seiner Kritik. Seit Anfang der Siebzigerjahre wurde ihm nämlich zunehmend bewusst, dass ein enger Zusammenhang bestand zwischen dem Niedergang des Erscheinungsbildes der katholischen Kirche und den Beschlüssen des Konzils.

In diese Zeit fallen seine größten öffentlichen Glaubenskundgebungen, zunächst 1977 in der Rhein-Main-Halle zu Wiesbaden mit etwa 3000 [!] Teilnehmern. 1978 folgte eine Großkundgebung in der Rhein-Moselhalle in Koblenz.

Man fragt sich, wie es Pfarrer Milch gelang, so viele Katholiken bei diesen Glaubenskundgebungen zusammenzubringen. Die Antwort lautet: weil er, wie kein anderer, in bezwingender Weise dem Einzelnen seine Bedeutung im Kampf um den Glauben vor Augen stellen und ihn so für einen großen Einsatz begeistern konnte. Die Teilnahme an den Glaubenskundgebungen wurde auf diese Weise für jeden Einzelnen zu einer Herzensangelegenheit. Angespornt durch die Wortgewalt dieses Priesters wollten die Teilnehmer jeder für sich, wenn es nur irgend möglich war, Zeugnis für den Glauben ablegen und sich für die Rettung der Kirche einsetzen.

Zahlreiche der Spes-unica-Briefe, auf die ich in meinem zweibändigen Werk „Pfarrer Hans Milch – Eine große Stimme des katholischen Glaubens“ zu sprechen komme, verdeutlichen, wie dieser Priester die Gläubigen zum Einsatz für das Reich Gottes begeistern konnte.

Die Koblenzer Rede endete mit 14 Fragen an die Bischöfe, auf die aber keiner von ihnen antwortete. Das kann nicht verwundern, denn dann hätten die Bischöfe Farbe bekennen müssen, stand doch schon im Vorspann zu diesen Fragen die an sie gerichtete Mahnung:

„Wir sind um unsere Kirche betrogen worden. Muten Sie unserem Hunger nicht zu die Steine eines sinnlosen Gehorsams! Geben Sie uns das reine Brot einer vollkommenen Wende!“

 

3.3. Der Auslöser für die Amtsenthebung

In dem Maße wie Pfarrer Milch das Versagen der Bischöfe anklagte, trat in seinen Schriften und Reden als herausragendes Gegenbild die Lichtgestalt von Erzbischof Lefebvre hervor.

Zwar missfielen dem Bischof von Limburg die Angriffe des Pfarrers von Hattersheim, aber weil er ihn persönlich schätzte, hätte er ihn wohl noch nicht seines Amtes enthoben. Zu diesem Schritt entschloss er sich jedoch, als sich Pfarrer Milch zu Wort und Werk von Erzbischof Lefebvre bekannte, und zwar mit der folgenden Passage in seinem Spes-unica-Brief vom 22. Juli 1979:

„Eines sei schon deutlichst gesagt – wiederholend, denn es ist oft genug von uns betont worden:

Wir bekennen uns bedingungslos zu Weg und Wort des Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Marcel Lefebvre!

In ihm und seinem Werk, in den von ihm geweihten Priestern grüßen wir die mächtige Hoffnung und Verheißung der von uns allen heiß ersehnten großen Wende, Oase des Katholischen und Inbegriff des Weiterlebens und Weiterwirkens unserer heiligen Kirche in ihrem wahren Wesen über die furchtbare Phase der Verfälschung hinweg, in der wir leben.

Sein, Erzbischof Lefebvres, Werk und Wille ist uns allen das befreiende Dennoch, Kern und Garantie katholischer Kontinuität, Fels in der Brandung. Wir sind ihm verschworen!“

 

Der Bischof reagierte auf diesen Brief mit der Amtsenthebung von Pfarrer Milch am 18. Oktober 1979.

Die schwere, seine Lebenssituation grundlegend verändernde Entscheidung, die Amtsenthebung auf sich zu nehmen, traf Pfarrer Milch eingedenk des Antimodernisteneides, den er vor seiner Priesterweihe geschworen hatte. Er traf diese Entscheidung aber auch im Hinblick darauf, dass er einst vor seinem himmlischen Richter Rechenschaft über die Ausübung seines Priesteramtes ablegen müsse.

In einem anderen Spes-unica-Brief liest man (man beachte die Parallele zur Predigt Erzbischof Lefebvres in Lille 1976):

„Wenn der Herr mich einst fragt: ‚Ich habe dir die Gnade geschenkt, die katholische Wahrheit zu erkennen! Warum hast du geschwiegen, als es an deiner Stimme lag, dem Verbrechen zu wehren und die Krankheit zu bezeichnen, dass sie beseitigt werden könne?!’ … Ich liebe, weiß Gott, nicht den Kampf! Aber wehe mir, wenn ich nicht kämpfte!“

In Hattersheim und Umgebung schlug die Amtsenthebung des weithin bekannten Pfarrers, an dem sich die Geister schieden, natürlich hohe Wellen. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich noch genau des Geschehens, das sich an jenem Sonntag, der auf die Suspendierung folgte, in der Pfarrkirche St. Martinus abspielte und das nicht der Dramatik entbehrte:

Die Kirche war wie gewohnt gut besetzt, und für den Außenstehenden deutete zunächst nichts auf einen irregulären Ablauf der Sonntagsmesse hin. Dennoch war die Atmosphäre äußerst gespannt und die meisten wussten, was sich nun ereignen würde. Kaum hatte der vom Bischof anstelle von Pfarrer Milch beauftragte Zelebrant, im Altarraum hinter einem sogenannten Volksaltar stehend, damit begonnen, die neue Messe zu zelebrieren, erhoben sich die meisten der anwesenden Gläubigen und verließen schweigend die Kirche. Die Orgel blieb stumm, die Messdiener zogen ihre Gewänder aus und verließen ebenfalls den Kirchenraum.

Fassungslos verfolgte der Zelebrant das spektakuläre Ereignis. Die Gläubigen versammelten sich anschließend auf dem Kirchplatz, hörten die Lesung des Sonntags und beteten für die Rettung der Kirche.

Am 11. November 1979 – dem Patronatsfest von St. Martinus – protestierte eine große Schar von Gläubigen mit einem Schweigemarsch durch Hattersheim gegen die Amtsenthebung von Pfarrer Milch. Etwa 1000 Gläubige, die z. T. von weither angereist waren, beteiligten sich an der Demonstration, die in erster Linie eine Demonstration für den unverfälschten Glauben war, für den dieser Priester seine materielle Existenz aufs Spiel gesetzt hatte und nun die Folgen für seine Glaubenstreue tragen musste.

Der persönliche Umgang mit dem Bischof von Limburg blieb von gegenseitiger Wertschätzung gekennzeichnet. Der Bischof erwies sich als großzügig, als er Pfarrer Milch anbot, im Pfarrhaus wohnen zu können, bis er in Ruhe ein Domizil für sich und seine hochbetagte Mutter gefunden hätte.

Dieser feierte in der Folgezeit zunächst jeden Sonntag drei, gelegentlich sogar vier heilige Messen in seiner dortigen Wohnung, um den Andrang der Gläubigen bewältigen zu können, und von nun an ohne alle Konzessionen, die er vorher gemacht hatte, um die Pfarrei möglichst lange halten zu können. Bei diesen Messen war nicht nur der Raum besetzt, in dem er zelebrierte, sondern auch der Flur und das Treppenhaus. Obwohl drangvolle Enge im Pfarrhaus herrschte, vermochte es Pfarrer Milch, eine dem heiligen Geschehen würdige Atmosphäre zu erzeugen.

Natürlich wurde die Situation im Pfarrhaus für ihn nun äußerst schwierig, musste er doch Wand an Wand mit seinem Nachfolger wohnen. Am bedrückendsten waren für ihn die Minuten, in denen die Glocken seiner Pfarrkirche zur hl. Messe riefen und ihm, der rund 18 Jahre lang in St. Martinus Gott das heilige Messopfer dargebracht hatte, diese Kirche verschlossen blieb, während sich dort nun mit der Zelebration des Novus Ordo ein Geschehen vollzog, das er an diesem Ort jahrelang verhindern konnte. St. Martinus zu Hattersheim war als eine Bastion des katholischen Glaubens gefallen. –

Mit der Amtsenthebung verlor Pfarrer Milch die materielle Grundlage für sich und seine damals schon über neunzigjährige Mutter. Fortan war er auf Spenden angewiesen und er konnte sehr erfolgreich aus der Überzeugung heraus bitten: „Der Herr will, dass ich bettle, also bettle ich.“

Die Bitte um Spenden wurde zu einem Dauerthema seiner Spes-unica-Briefe in der Folgezeit. Denn neben dem Lebensunterhalt musste er mit Spenden den Bau der Kirche St. Athanasius in Hattersheim finanzieren und anschließend auch die Unterhaltungskosten für sie bestreiten. Er konnte dieses finanzielle Abenteuer nur deshalb wagen, weil er darauf vertrauen konnte, dass seine Wortgewalt auch in Bezug auf das Spendenaufkommen ihre Wirkung nicht verfehlen würde.

Da er nur noch für eine begrenzte Zeit in seiner ehemaligen Pfarrwohnung bleiben und dort zelebrieren konnte, galt es für ihn zunächst, eine neue Wohnung und einen größeren Raum für die Zelebration der hl. Messe zu finden. Eine Wohnung fand er in Wiesbaden. Dankenswerterweise stellte ihm die Familie Berthold Geis in Hattersheim einen Raum zur Verfügung, den sie bis dahin als Lagerraum für Tapeten und Teppichbeläge genutzt hatte. Hinzu kam noch ein kleiner Raum, der als Sakristei eingerichtet wurde und in dem er auch Beichte hören konnte.

Am 24. Oktober 1982 weihte Erzbischof Lefebvre die Kapelle St. Athanasius in der erhabenen Zeremonie der heiligen Kirche.

Zur großen Freude von Pfarrer Milch erteilte Erzbischof Lefebvre der actio spes unica und dem Wirken dieses Priesters seinen Segen. Den Brief, der diesen Segen ausspricht, findet der Besucher des Messzentrums eingerahmt am Eingang der St. Athanasius Kirche. Die betreffende Passage lautet:

„Sehr gern anerkenne und segne ich Ihre Gebets- und Kampforganisation actio spes unica. O, wie sehr beglückwünsche ich Sie und ermutige die Mitglieder dieser Vereinigung für ihren Eifer, die heiligen Traditionen der katholischen Kirche aufrechtzuerhalten.

Sie wünschen in Union mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu arbeiten; das ist eine Ermutigung für uns, und wir wissen, was es Sie gekostet hat, sich für Monseigneur Lefebvre zu entscheiden.

Nichts ist heute im Kampf gegen die Feinde des katholischen Glaubens dringender, als vereint im gleichen Gebet zu wirken! Gott möge Sie segnen, lieber Herr Pfarrer Hans Milch, Sie und Ihre Bewegung durch die Fürbitte der Jungfrau Maria!

 

Mit herzlicher und brüderlicher Verbundenheit in Christus und Maria

+ MARCEL LEFEBVRE –

Alterzbischof, Bischof von Tulle, Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X.“

Pfarrer Milch schloss seinen Spes-unica- Brief, in dem er den Gläubigen den Segen des Erzbischofs mitteilte mit den Worten:

„Die Lichter der Hoffnung brennen heller! Flammenzeichen glüht! Es wird anschwellen zum Feuer – auch durch unsere Jugend! Die Feinde werden auf Dauer dem Feuer nicht entweichen können!

Harren Sie aus! Geben Sie niemals auf!“

 

3.4. Die letzten sieben Jahre

Auch in der letzten Phase seines Kampfes gegen die Glaubenszerstörung erwarteten Pfarrer Milch harte Auseinandersetzungen und zudem belasteten ihn beständig materielle Sorgen. Zwar war er fortan nicht mehr den Angriffen der Modernisten und des Bischofs von Limburg ausgesetzt, dafür musste er sich aber gegen Gruppierungen innerhalb der Widerstandsbewegung gegen die Glaubenszerstörung wenden, wobei er sich gelegentlich auch persönlichen Vorwürfen ihrer Vertreter ausgesetzt sah.

Man muss eben bedenken, dass viele in diesem Lager den Problemen, die mit dem Konzil und in der nachkonziliaren Zeit auf sie zukamen, geistig nicht gewachsen, aber leider vom Gegenteil dieser Tatsache überzeugt waren.

So wundert es nicht, dass sich in dieser Gegenbewegung ein breites Spektrum von Meinungen hinsichtlich der Beurteilung der kirchlichen Lage ausbildete, an dessen einem Ende sich die Halbkonservativen befanden, die dem modernen Rom die Stange hielten, und an dessen anderem Ende die Sedisvakantisten standen, die behaupteten, dass der Papst und die Bischöfe im offiziellen Raum der Kirche durch Häresie bzw. Apostasie ihres Amtes verlustig gegangen seien. In dieser Auseinandersetzung verteidigte Pfarrer Milch Wort und Werk von Erzbischof Lefebvre und grenzte seine eigene Position einerseits gegenüber den halbkonservativen Verteidigern des modernen Rom und andererseits gegenüber den Sedisvakantisten ab.

Dieser Priester war eine Anlaufstelle für Repräsentanten all dieser Strömungen, und da er die Briefe, die ihn in großer Anzahl erreichten, nicht alle persönlich beantworten konnte, nahm er häufig in seinen Spesunica- Briefen zu den betreffenden Problemen Stellung, weshalb diese auch als ein Spiegel der Vielfalt der Positionen betrachtet werden können, die es nach wie vor gibt.

So wurden einige seiner Briefe aus dieser Lebensphase zu großen Lehrbriefen. In diesen ging es nicht nur um die Vertiefung des Glaubenswissens und um die Analyse der Ursachen der heutigen Kirchenkrise, sondern er versuchte auch mit aller Energie und Wortgewalt die Gläubigen zu Gebet und Opfer dafür zu bewegen, dass die von ihm so oft beschworene totale Wende in der Kirche beschleunigt herbeigeführt werde.

Höchst eindringlich stellte er den Gläubigen vor Augen, dass ihr Einsatz unverzichtbar sei und er ihrem Leben eine ungeahnte Bedeutung geben könne, wenn sie ihr Dasein gerade jetzt, in dieser existenzbedrohenden Krise der Kirche, für die Belange des Reiches Gottes einsetzten.

Nachdem Pfarrer Milch nach seiner Suspendierung zunächst kein Kirchenraum mehr zur Verfügung stand, führte er bis zu vier Glaubenskundgebungen im Jahr durch, und zwar meist im Konzertsaal Eltzer Hof zu Mainz. Über 20 [!] Glaubenskundgebungen hielt er allein an diesem Ort.

Außerdem initiierte er 1980 eine Glaubenskundgebung in der Schwarzwaldhalle zu Karlsruhe, wo er die kursierenden Irrlehren formulierte und gemeinsam mit den Gläubigen diesen Irrlehren, mit einem zuvor verteilten Text, abschwor.

Weitere Glaubenskundgebungen fanden in Soest und Lübeck statt. Darüber hinaus nahm Pfarrer Milch an der Großkundgebung der Priesterbruderschaft St. Pius X. in der Olympiahalle zu München im Jahre 1983 teil.

Kein zweiter Priester des Weltklerus in Deutschland hat in der nachkonziliaren Zeit eine vergleichbare Aktivität dieser Art entwickelt.

Wir sahen, dass Pfarrer Milch einen großen Einsatz für die Belange des Reiches Gottes von den Gläubigen forderte. Aber er forderte nicht nur einen großen Einsatz von ihnen, vielmehr gab er ihnen nicht nur geistige, sondern auch seelische Kraft zu diesem Einsatz, indem er ihnen Trost und Zuversicht zusprach.

Er war ja nicht nur ein Löwe auf der Kanzel und am Rednerpult. Seine Predigt war nicht weniger faszinierend, wenn er leise Töne anschlug. Dann erzeugte er eine Atmosphäre der Intimität, in welcher der Hörer den Eindruck gewann, diese Worte seien allein an ihn gerichtet. So heißt es in einem nach Weihnachten geschriebenen Brief:

„Noch ist es Weihnachtszeit. ‚Die Finsternis ist im Schwinden begriffen, und schon leuchtet das wahre Licht!’, wie uns der heilige Evangelist (1 Joh 2,8) so unsagbar tröstlich und tief beruhigend versichert. Das milde Licht durchstrahlt den Raum der heiligen Mysterien und die Seelen der Einsamen, Treuen, Verlachten und Verlassenen. Es leuchtet im Leid derer, die das Unheil erkennen, welches in den Innenraum der Kirche eingebrochen ist. Es leuchtet in der Hoffnung der Unentwegten, die nicht aufgeben …

Das wunderbare Licht strahlt dennoch – überall, wo die heilige Messe in ihrer gottgewollten überlieferten Weise gefeiert wird, wo die Sakramente gespendet werden im Zeichen des ewigen Willens der ewigen Kirche, wo die geoffenbarte Wahrheit um der Wahrheit willen verkündet wird, wo sich Beter seufzend verhüllen im Kämmerlein ihrer Seele, um dort den Bräutigam Christus in Seiner stärkenden Zärtlichkeit und himmlisch-kosenden Kraft zu erfahren, wo sie sich finden im gemeinsamen Leid, im Schoße der von ihren Söhnen im Stich gelassenen Mutter, im gemeinsamen Gebet und in der gemeinsamen Zuversicht, dass die leidende, Tränen vergießende himmlische Braut zugleich ‚die Siegerin in allen Schlachten Gottes ist’.“

 

3.5. Zum Tode von Pfarrer Milch

Dieser Seelsorger konnte sich in die Lage eines Bedrückten versetzen und von ihm her denken, weil er selbst ein überaus sensibler Mensch war. So verwirklichte er die Worte, die er einst geschrieben hatte:

„Liebe heißt, sich in den anderen hineinversetzen, das mir begegnende Du als eine große Möglichkeit des Erlöstseins und Erlöstwerdens anzuschauen; als einen von Christus ins Auge Gefassten, als einen, dem das große Glück auch widerfahren kann. So begegne ich jedem, auch dem Verkommensten, dem äußersten Opfer all der Folgen, welche die Erbsünde mit sich bringt.“

Und so begegnete er auch Luigo Zito, jenem Menschen, der ihn am 8. August 1987 ermordete. Im zweiten Band meines Werkes über das priesterliche Wirken von Pfarrer Milch habe ich Verhaltensweisen von Zito geschildert, die keinen Zweifel daran lassen, dass er ein schwer geistesgestörter Mensch gewesen war.

So tragisch die Umstände des Todes von Pfarrer Milch auch waren, so dürfen wir doch darauf vertrauen, dass dieser Tod eine große Sühnekraft besitzt, ereignete er sich doch in Ausübung seiner seelsorglichen Tätigkeit.

In diesem Zusammenhang kommt mir ein von ihm verfasstes Gebet in den Sinn, dessen letzte Zeile lautet:

„Hier bin ich, Herr! Hier ist mein Leben! Dass bald doch Wende werde! Amen.“

Ecce Sacerdos magnus, qui in diebus suis placuit Deo – „Sehet den großen Priester, der in seinen Tagen Gott gefiel“.