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Selbsttäuschung
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Wer kennt es nicht, das beruhigende, selbstversichernde Gefühl der Zufriedenheit, wenn privat und beruflich alles nach unseren Vorstellungen – also glatt – läuft? Anerkennend kann ich mir selbst auf die Schulter klopfen. Zustände, die uns derlei Gefühlslagen zusichern, wünschen wir uns selbstverständlich oft. Nur ist das Alltagsleben nicht allzu dicht davon übersät. Kurios eigentlich – die Realität stellt uns immer wieder vor Situationen, die positiv ausgedrückt, eine Herausforderung für uns darstellen oder uns unüberhörbar klarmachen: Niemand ist perfekt – du erst recht nicht! Wir aber streben permanent einen Zustand an, in dem wir selbst Herr der Lage und glücklich sind. Man könnte meinen, wir Menschen seien Sysiphosse oder überlebenswütige Fantasten. Und in der Tat nehmen wir heute nicht wenige Menschen wahr, die sich in diesem Hamsterrad – der Jagd nach sinnlich erfahrbarem Glück (oder sagen wir Genuss) – abstrampeln, ohne je einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ihre Fähigkeit zu laufen, ihnen nicht dazu gegeben wurde, um sich (lediglich) im Hamsterrad zu verausgaben. Stellen wir uns also der Realität und nehmen wir zwei Grundsätze an:
- Die hin und wieder niederschmetternde Realität des Alltags wie auch die verschiedenen Lebensumstände sind kein Zufall, sondern haben uns durchaus etwas mitzuteilen.
- Unser Streben nach Glück ist nicht grundsätzlich falsch und hat einen (höheren) Sinn.
Ich meine, hier nicht näher begründen zu müssen, dass der Mensch nicht nur ein materielles Konstrukt, sondern mit Geist und Seele ausgestattet, in der Regel zielgerichtet agiert. Sein geistiger Part ist dabei gegenüber dem leiblichen erhabener. Allerdings stellt der Leib nicht den Part zweiter Klasse dar, denn ohne den Leib, an den der Geist gebunden ist, könnte er sich nicht weiterentwickeln. Das hat zur Folge, dass wir unseren Leib gesund erhalten, pflegen und ernähren müssen, jedoch nur in dem Maße der Notwendigkeit. Oberste Priorität neben allen Leiberhaltungsmaßnahmen hat allerdings immer der geistige Teil unserer selbst. Denn unser Ziel – wie der heilige Ignatius von Loyola gleich zu Beginn seiner Exerzitien hervorhebt – sind nicht schöne Leiber, Wohl- stand und Arbeit; ja nicht einmal Gesundheit und ungetrübtes Glück hier auf Erden.
Nein! Vielmehr zum Urgrund unseres Selbst streben wir und sollen wir gelangen. Alle wahrhaft Suchenden kannten eben dieses Gefühl der Unrast: „Und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, o Herr!“ (Augustinus von Hippo). In Wirklichkeit sehnen wir uns nach echtem Glück, nach dem wahrhaft Vollkommenen, und geben uns, ach so oft, vorschnell mit dem uns vorgegaukelten Tand zufrieden. Flott finden wir wieder zum Trott im Hamsterrad, dem Rennen nach irdischer Zufriedenheit. Und das, obwohl wir tief in unserem Inneren spüren, dass uns dieses Geplänkel nie zufrieden und glücklich wird machen können. Doch gerade in dieser Lage – unserer Scheu vor Freudlosigkeit und Niederlage –, die uns eine Begegnung mit dem Ursprung unseres Seins verwehren würde, kommt uns Gott selbst in der unangenehmen Realität entgegen, um uns dort abzuholen, wo wir stehen. Nichts ist Ihm lieber, als unser illusorisches Gedankengebilde absoluten irdischen Wohlergehens zu durchbrechen, es zu zerstören. In solch einer Situation wäre es uns ein Leichtes, den wahren Wert unseres Selbst ohne Gott zu erkennen. Doch was läuft derweil in uns ab? Wie reagieren wir? Da wir Gottes Walten nicht direkt sehen, empören wir uns natürlich ob der Zurechtweisung eines Mitmenschen, einer beruflichen Diskrepanz oder unseres eigenen Unvermögens, anstatt in uns zu gehen und der Situation einen Sinn zu entnehmen.
Doch halten wir einmal inne, nachdem wir einer ersten Wut etwas Luft gemacht haben. Wie tritt uns unser Selbst entgegen? Selbst bei stets guten Absichten unserer Handlungen sind sie doch meist gepaart mit einer guten Portion Stolz auf dem falsch eingeschlagenen Weg. Schon erschreckend, dieses Übermaß an Ego in uns! Normalerweise werden die Wenigsten sofort bereit sein, ihre Hörner abzuwerfen. Da wird einem erst einmal bewusst, was für einen großartigen Akt des Willens es kostet, den eigenen Stolz zu überwinden. Mit unseren aufgebauschten Leidenschaften stehen wir einem derartigen Willensakt natürlich uns selber im Wege. Klare, rachelose Gedanken sind schwer zu fassen. Doch viel ist schon gewonnen, sich einfach nur dessen bewusst zu sein: Dies hier ist lediglich meine emotionale Seite! Ich darf sie in mir nicht vorherrschen lassen! Wenn man es dann noch schafft, wenn auch nur widerwillig, sich und das unliebsam Geschehene gedanklich in Gottes weisen Willen zu legen, befindet man sich bereits auf dem Siegespfad, denn den ersten kleinen Schritt der Demut hat man so schon hinter sich gebracht.