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St. Peter in Rom – Der Kirchbau der Renaissance (ca. 1420–1600)
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Geschichtlicher Hintergrund
Am Beginn der Renaissance (franz.: „Wiedergeburt“) steht die Wiederentdeckung der diesseitigen Welt. In den Mittelpunkt des Denkens und der künstlerischen Darstellung treten nun der Mensch und die Natur. Es findet eine Rückbesinnung auf die Antike statt. Die antike Denkweise, die auf Vernunft und Erfahrung gründet, gilt für Literatur, Kunst und Naturwissenschaften als Vorbild. Gegenüber der ins Jenseits gerichteten Geisteshaltung des mittelalterlichen Menschen stellt die Renaissance einen krassen Umbruch dar. Nicht mehr der weltentrückte Geist, das Aufgehen in Gott, war das höchste Lebensziel, sondern die gottgefällige irdische Vollendung des Menschen. Der selbstsichere, vielseitig schöpferische, gebildete Mensch, das Universalgenie war das Ideal der Zeit.
An die Stelle des mittelalterlichen „Strebens nach Gott“, nach weltlicher Entsagung und „überirdischer Weihe“ trat jetzt ein der Welt zugewandtes „Ruhen in Gott“. Diese neue weltlichere Geisteshaltung fand ihren Ausdruck auch im Kirchenbau. Das aufstrebende Bürgertum, neue Entdeckungen in den Wissenschaften, in der Kunst die Wiederentdeckung der Zentralperspektive und in der Seefahrt die Entdeckung neuer Kontinente (1492: Amerika) sowie reger Handel bis über Ländergrenzen hinweg und die Bildung von Stadtstaaten in Italien bildeten die Grundlage für ein Umdenken und ein Autonomiestreben der Menschen. Waren die sakralen Bilder – wie Ikonen – bisher mit goldenem Hintergrund versehen, so bekamen sie nun durch die Zentralperspektive eine „räumliche Tiefe“ und einen natürlichen Hintergrund. Waren die Künstler bisher anonym geblieben und nur das Kunstwerk von Bedeutung, so traten die Künstler nun aus der Anonymität heraus und genossen selbst Ruhm und Bewunderung. So waren es in Florenz die Medici, in Mailand die Sforza, in Mantua die Gonzaga, die Künstler wie Raffael und Leonardo Da Vinci und viele andere mehr um sich scharten, um ihre Städte zur Blüte zu bringen.
Die Renaissance begann in Italien im frühen 15. Jh. und der Architektur fiel dabei eine Schlüsselrolle zu: 1414 war die im Jahre 23 v. Christus verfasste Schrift De Architectura des römischen Architekten und Ingenieurs Vitruv wiederentdeckt worden – zehn Bücher, worin er die Prinzipien der antiken Baukunst festgeschrieben hatte. Die Wiederentdeckung löste einen epochalen Umbruch aus. Die Architekten begeisterten sich für die Baukunst der römischen und griechischen Antike. War doch gerade in Italien die klassische Baukunst nie wirklich vergessen und die Gotik nie wirklich akzeptiert worden. Bedeutend war auch die Auffindung und Ausgrabung des Hauses des Kaisers Nero (Domus aurea). Viele Wandmalereien wie Ranken und Girlanden hielten daraufhin Einzug in die Gemächer und Räume der Herrscher. Natürlich wurden in der Renaissance viel mehr Profanbauten als Kirchen errichtet: So etwa die vielen großartigen und herrlichen Palazzi der mächtigen Kaufmannsfamilien in der Toskana (z. B. der Palazzo Pitti und der Palazzo Strozzi in Florenz) mit ihren Geschlechtertürmen sowie den von Säulengängen umgebenen großen Innenhöfen. Je höher der Geschlechterturm, desto bedeutender und angesehener (reicher) war die Familie.
Erscheinung und Stil der Renaissance
Vorbilder waren aus der Antike die horizontale Gliederung der Bauelemente, der Rundbogen, die Gliederung durch Gesimse, Obelisken, Pilaster (= aus der Wand hervortretende Pfeiler), Voluten (= spiralförmige Vermittlungsglieder, sog. „Schnecken“), Nischen mit oder (meist) ohne Skulpturen und selbstverständlich Säulen der überlieferten Säulenordnungen des antiken Tempelbaus (dorisch, ionisch, korinthisch sowie tuskisch, d. h. von der Toskana). Typisch für die Renaissance und sehr leicht zu erkennen und zu deuten sind die Fensterbekrönungen, die entweder einen Dreiecksgiebel oder einen niederen, halbrunden, gestreckten Segmentgiebel aufweisen. In Frankreich und Deutschland sind im Profanbau der Renaissance besonders die Stufengiebel der Häuservorderseite auffällig (vgl. Weserbergland, Weserrenaissance, Altstadt von Münster).
Die Anfänge der Renaissance in Florenz
In der Toskana war der Boden für den neuen Stil schon bereitet. Man baute in der Spätromanik Kirchen mit Sinn für Proportion, die das Gleichgewichtsgefühl der Renaissance vorausnahmen. Als höchste Bauaufgabe galt nach wie vor die Sakralarchitektur, auch wenn mehr weltliche als kirchliche Bauten in der Renaissance errichtet wurden. So eröffnete Filippo Brunelleschi (1377–1446) das Renaissancezeitalter in Florenz mit den beiden Basiliken San Lorenzo und Santo Spirito. Mit der Errichtung der 45 Meter überspannenden Domkuppel von Florenz gelang ihm zeitgleich eine bislang als unmöglich erachtete technische Meisterleistung.
Die Hochrenaissance in Rom
Die Wende vom 15. zum 16. Jh. markiert die Ablösung des „Innovationsstandortes“ Florenz durch Rom und zugleich den Beginn der Hochrenaissance. Im Jahre 1496 kam Michelangelo, 1499 Bramante und 1508 der junge Raffael nach Rom. Anders als in Florenz ließen sich die antiken Bauten in Rom in situ („am Ursprungsort“) studieren.
Mit Papst Julius II. (1503–1513) saß ein Mann auf dem Stuhl Petri, der die Stadt erneut zum caput mundi (zur „Welthauptstadt“) machen wollte. So wurde Rom das Zentrum von Kunst und Architektur für die kommenden 200 Jahre bis in die Zeit des Barock. Für den Kunsttheoretiker und Priester an der römischen Kurie Leon Battista Alberti (1404–1472) war die Idealform des Sakralbaus der überkuppelte Zentralbau mit den Formen des Kreises (Symbol des Göttlichen und Vollkommenen) und des Quadrates, wenn man für die kultische Praxis auch meist den Kompromiss von Langbauten einging, um die große Masse der Gläubigen aufzunehmen, sodass aus dem bevorzugten Grundriss des griechischen Kreuzes (aus gleichlangen Kreuzarmen) wieder ein lateinisches Kreuz wurde.
Die Peterskirche in Rom
1506 entschloss sich Julius II., den alten, konstantinischen Petersdom abtragen zu lassen, um einen neuen, größeren und schöneren Dom in modernerem Stil an seine Stelle zu setzen. Er sollte jedes Bauwerk der Antike an Größe, Schönheit und Ebenmaß übertreffen. Julius II. beauftragte dazu den Architekten Donato Bramante. Am 18. April 1506, dem Datum der Grundsteinlegung am heutigen Veronika-Pfeiler, begann Bramante mit dem Neubau von St. Peter, dem das inzwischen im sehr schlechten Zustand befindliche Kirchengebäude Konstantins weichen musste.
Der Abriss der alten Peterskirche wurde von vielen Zeitgenossen skeptisch gesehen. Vorgesehen war ein Zentralbau auf der Grundlage des griechischen Kreuzes, der bekrönt wurde mit einer monumentalen Kuppel als Zentrum über dem Hochaltar und somit über dem Grab des Heiligen Petrus, aber in gigantischen Ausmaßen, mit Nebenkuppeln in den Winkeln zwischen den tonnengewölbten Kreuzarmen. Mit dem Fortschreiten des Neubaus der Basilika ging die allmähliche Zerstörung der alten einher.
Das großartige Werk wurde durch den Tod von Julius II. 1513 und den Tod Bramantes 1514 unterbrochen. Zum Zeitpunkt des Todes von Bramante war erst die Vierung (45 Meter hoch), auf der die Kuppel ruhen sollte, abgeschlossen, und diese musste noch um einiges verstärkt werden. Erst nach dem Sacco di Roma (der Plünderung Roms) im Jahre 1527 durch die Truppen Kaiser Karls V. wurden die Arbeiten am neuen Dom wieder aufgenommen. An Problemen mangelte es nicht, hatte man doch seit der Antike nicht mehr in solch großen, gigantischen Ausmaßen gebaut und wenig Erfahrung damit. Zweifellos hatten die Nachfolger von Bramante, darunter Raffael, Peruzzi, Da Sangallo und Michelangelo, eine äußerst schwierige Aufgabe zu bewältigen. Sangallo hob den Fußboden der neuen Kirche um ungefähr drei Meter über den der alten Kirche und errichtete 1538 zwischen der 11. und 12. Säule der alten Basilika eine zehn Meter hohe Mauer, die den Neubau dahinter verdeckte, sodass in dem Restteil des alten Gebäudes noch 70 Jahre lang die hl. Messen zelebriert werden konnten.
Nach mehrfachem Wechsel der Baumeister plante Michelangelo eine stärkere Betonung und Steigerung des Hauptkuppelraumes, der den ganzen Bau beherrschen sollte. Unter Michelangelos Leitung wurden die Mauern zu einer einheitlichen Höhe hochgezogen und die Pläne für kleinere Kuppeln aufgegeben. Bei seinem Tod im Jahre 1564 waren die Arbeiten an der Basis der großen Kuppel angelangt. Das Schwierigste war noch zu bewältigen: das Hochziehen der Kuppelwölbung. Michelangelos Nachfolger Barozzi und Viola wagten sich nicht daran. Erst 26 Jahre später wurde die Kuppel – trotz aller Ängste und Befürchtungen – dank dem hartnäckigen Drängen von Papst Sixtus V. (1585–1590) durch die Architekten Della Porta und Fontana vollendet. Dazu hatten 800 Arbeiter 22 Monate lang vom Juli 1590 Tag und Nacht in Schichten gearbeitet, in glühender Hitze wie bei schwachem Fackellicht. Damals lebte fast ganz Rom für und vom Bau der Peterskirche. Die Kuppel hat einen Durchmesser von ca. 43 Metern und befindet sich in einer Höhe von 53 Metern. Doch mit der Errichtung der Kuppel war die Kirche noch immer nicht fertig. Es brauchte die Energie und den Ehrgeiz eines Papstes Paul V. (1605–1621), der alles daran setzte, den Petersdom zu vollenden. So wurden unter ihm die Kreuzarme des Domes in Form von Tonnengewölben gebaut und erhielten eine Kassettendecke. Für die inzwischen beginnende Zeit der Gegenreformation, welche die Größe der römischen Kirche demonstrieren wollte, bedurfte es eines langen Kirchenschiffes: So wurde aus dem griechischen Kreuz des Grundrisses schlussendlich doch wieder ein lateinisches Kreuz, da der Papst auch lange, prächtige Prozessionen liebte. Außerdem verlangte es die Ehrfurcht, dass der gesamte konsekrierte Boden der alten Basilika durch den neuen Bau bedeckt würde. So wurde der Architekt Maderno beauftragt, die Peterskirche um gut 60 Meter in die Länge zu ziehen. Um diese Verlängerung durchzuführen, wurde unbarmherzig der Restteil der alten Basilika mit seinen wunderschönen Mosaiken und kostbaren Marmorsäulen zerstört und drei Joche mit Kappellen an den Bau angefügt. Giacomo Grimaldi, der Archivar der Kurie, schrieb am 15. November 1609 in sein Tagebuch: „Das war die letzte in der alten Basilika zelebrierte Messe.“
Carlo Maderno (1556–1629) fügte der Peterskirche noch eine große Vorhalle hinzu und schuf die Fassade, die ihm allerdings viel Kritik einbrachte, weil sie zu groß geraten war und die Kuppel verdeckte, wenn man nahe davor stand. Nach Michelangelos Plänen sollte die Kuppel von allen Seiten gleichermaßen sichtbar sein und das Zentrum des Baus bilden.
Papst Paul V. ließ 1612 seinen Namen über den Eingang setzen, wenn auch etwas voreilig, denn die Kirche war noch immer nicht vollendet. Erst sein Nachfolger, Papst Urban VIII. (1623–1644), der noch den riesigen Hochaltar unter der Kuppel bauen ließ, konnte sie am 18. November 1626 nach genau 120 Jahren Bauzeit konsekrieren.
1300 Jahre nach der vermutlichen Einweihung der ersten Basilika durch Papst Silvester I. war Michelangelo der große Baumeister der Peterskirche der Renaissance. Für das kommende Zeitalter des Barock gestaltete Giovanni Lorenzo Bernini (1598–1680) noch den Petersplatz mit den Kolonnaden. Mit Bernini vollendete sich die „Geniezeit“ Roms, aus der heraus die Peterskirche entstanden ist und die das Wunder bewirkt hat, dass ein Bau, an dem so viele verschiedene Architekten über ein ganzes Jahrhundert lang arbeiteten, dennoch ein einheitliches, harmonisches Kunstwerk und herrliches Gotteshaus geworden ist. Der Petersdom ist von seiner Außenansicht als Renaissancebau zu betrachten, die Innenausstattung geht schon in das Barock über.
Eine reine Renaissancekirche in Deutschland zu finden, ist mehr als schwierig. Meist ging im Kirchenbau die Renaissance hier um ca. 1600 in den Frühbarock über. Als Renaissancekirche kann man die Jesuitenkirche St. Michael in München betrachten, die meisten aufgezählten Kennzeichen der Renaissance finden sich im Inneren wie an der Außenfassade der Kirche; sogar die Ranken, Ornamente und Girlanden (Grotesken genannt), die als Malereien oder Stuck in der Kirche zu sehen sind, erinnern an die Wandmalereien des „Goldenen Hauses“ (Domus aurea) des Kaisers Nero.