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„Wir kommen alle in den Himmel…“ – Die Geburt des anonymen Christen

Erschienen in:
DGW-2011-04-Der-Freiheitskampf-des-irischen-Volkes

Während noch vor wenigen Jahrzehnten der Katholizismus in großen Teilen der Welt das Leben der Gesellschaft, der Familien und der Individuen mit großer Selbstverständlichkeit prägte und die abendländische Kultur mit dem Christentum untrennbar verwoben war, findet sich der Katholik heute in einer Minderheitenposition wieder und wird mit Unannehmlichkeiten konfrontiert, die früheren Generationen in der Regel unbekannt waren: Während das Gebet, die Sakramente und die Achtung vor der Lehre der Kirche einstmals Allgemeingut waren, erfordern die Treue im Glauben und die Befolgung der Gebote heute eine starkmütige und bewusste Entscheidung gegen die Prinzipien und Gepflogenheiten der säkularisierten Massengesellschaft, welche nicht selten mit sozialer Isolation und manchmal mit offenen Anfeindungen sanktioniert wird. Doch eine noch viel größere Belastung ist womöglich die Tatsache, dass wir tagtäglich im Berufsleben, an der Universität oder in der Schule und leider oft auch im engsten Freundes- und Familienkreis mit Personen zu tun haben, die sich allem Anschein nach auf dem Weg in die Hölle befinden.

Die Tragödie des Unglaubens erlangt in der säkularen und multikulturellen Gesellschaft eine besondere Dringlichkeit. Zahlreiche Christen empfinden es als unerträglich und geradezu unvorstellbar, dass die meisten Menschen verloren gehen, ja geradezu als unvereinbar mit dem Glauben an die Barmherzigkeit Gottes. Die Theologie der Allerlösung, das konsequente Endprodukt des Ökumenismus, stellt nichts anderes als einen Versuch dar, eine Heilsmöglichkeit für die zahllosen Seelen zu konstruieren, welche nicht der katholischen Kirche angehören. Im Folgenden sollen im Lichte der überlieferten katholischen Lehre die philosophischen Grundlagen der ökumenistischen Theologie herausgearbeitet und nachgewiesen werden, dass diese, obgleich sie aus einer menschlich durchaus nachvollziehbaren Regung des Mitleids hervorgegangen sein mag, mit den wesentlichen Grundlagen des Katholizismus unvereinbar ist.

Der Mensch muss sich, um die übernatürliche Seligkeit zu erlangen, zum Zeitpunkt seines Todes im Stand der heiligmachenden Gnade befinden. Nach dem Verlust der heiligmachenden Gnade durch die Ursünde kann sie nur durch die Teilhabe am Sühneopfer Christi durch Eingliederung in die Kirche erlangt werden: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,15). Unter besonderen Umständen ist es jedoch möglich, dass einem Ungetauften die heiligmachende Gnade auch ohne Taufe und somit ohne formelle Eingliederung in den Leib Christi zuteilwird, wenn dieser nämlich aufrichtig nach der Taufe verlangt und beispielsweise während der Vorbereitungszeit als Katechumene stirbt (Begierdetaufe) oder den christlichen Glauben durch das Martyrium bekennt (Bluttaufe).1 Doch auch für diejenigen, die nie die Botschaft des Evangeliums gehört haben und nie die Taufe empfangen konnten, gibt es in Hinblick auf den allgemeinen Heilswillen Gottes nach traditioneller katholischer Lehre durchaus die Möglichkeit, gerettet zu werden. Auch wenn kein explizites Verlangen nach der Taufe vorhanden ist, weil sich eine Person diesbezüglich ohne persönliche Schuld in Unwissenheit befindet, kann der Wunsch nach Zugehörigkeit zur Kirche in der sittlichen Bereitschaft, den Willen Gottes treu zu erfüllen, eingeschlossen sein (votum implicitum)2: „Uns und Euch ist bekannt, dass diejenigen, die an unüberwindlicher Unkenntnis in Bezug auf unsere heiligste Religion leiden und die, indem sie das natürliche Gesetz und seine Gebote, die von Gott in die Herzen aller eingemeißelt wurden, gewissenhaft beachten und bereit sind, Gott zu gehorchen, ein sittlich gutes und rechtes Leben führen, durch das Wirken der Kraft des göttlichen Lichtes und der göttlichen Gnade das ewige Leben erlangen können, da Gott […] keineswegs duldet, dass irgendjemand mit ewigen Qualen bestraft werde, der nicht die Strafwürdigkeit einer willentlichen Schuld besitzt“ (Pius IX., Enzyklika Quanto conficiamur moerore, 1863).3

Obgleich es also nach überlieferter Lehre die Möglichkeit gibt, ohne formelle Eingliederung in den „Leib der Kirche“ gerettet zu werden, so ist trotzdem die Teilhabe an der „Seele der Kirche“ erforderlich, damit dem schuldlos Ungetauften die heiligmachende Gnade zuteilwird. Die Heilsnotwendigkeit der Kirche wird dadurch in keiner Weise angezweifelt, weshalb es zur Klarstellung in derselben Enzyklika heißt: „Aber wohlbekannt ist auch der katholische Lehrsatz, dass nämlich niemand außerhalb der katholischen Kirche gerettet werden kann“.4 Im Übrigen darf eine tatsächlich schuldlose Unwissenheit keineswegs voreilig angenommen werden, da die natürliche Gotteserkenntnis mittels der Vernunft sowie die zahlreichen Wunderereignisse ein beinahe unwiderstehliches Zeugnis von der Wahrheit der katholischen Religion ablegen und die Botschaft des Evangeliums heutzutage an beinahe alle Enden der Erde gedrungen ist. Gott möchte seinem allgemeinen Heilswillen entsprechend, dass alle Menschen gerettet werden, doch die Kirche ist die einzige Arche des Heiles. Lediglich in wenigen Fällen ist es anzunehmen, dass ein Ungetaufter wegen schuldlosen Irrtums die heiligmachende Gnade erlangt: Man darf keineswegs „gute Hoffnung für das Heil all jener hegen, die sich überhaupt nicht in der wahren Kirche Christi befinden“ (Pius IX., Syllabus errorum, 1864, Satz 17).5

Die Sorge um das Seelenheil unserer Mitmenschen ist das wichtigste Element der Nächstenliebe und die wesentliche Aufgabe der Kirche. Die Offenbarung der Muttergottes in Fatima, dass gerade in unserer Zeit die Seelen in die Hölle fallen wie die Schneeflocken im Winter, ist eine Ermahnung, eben nicht nur mit Eifer unser eigenes Heil zu wirken, sondern auch durch Gebet und Buße zur Bekehrung der Sünder und zur Erleuchtung der Ungläubigen beizutragen. Aus dieser übernatürlichen Dimension der Nächstenliebe heraus wurden in vergangenen Jahrhunderten zahllose Priester und Ordensleute dazu bewegt, dem Missionsbefehl Christi zu folgen, fremde Länder zu bereisen und sich um die Bekehrung der Ungläubigen zu bemühen, sodass sich der christliche Glaube über beinahe die ganz Welt ausbreitete.

Obgleich die Kirche, konfrontiert mit einer rasanten Entchristlichung der einstmals katholischen Völker und einem dramatischen Glaubensverfall, gerade in der heutigen Zeit besondere Anstrengungen um die Rettung der Seelen unternehmen müsste, ist der Missionseifer geschwunden und einem Heilsoptimismus gewichen, welcher die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht mehr als notwendig für die Erlangung der übernatürlichen Seligkeit erscheinen lässt. Um dieses Phänomen zu begreifen, ist eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Natur und Übernatur des Menschen in der katholischen Theologie erforderlich.

Der Mensch besitzt bestimmte natürliche Fähigkeiten und Eigenschaften, die von vornherein in seiner menschlichen Natur als Potenzial angelegt sind und lediglich entfaltet werden müssen, so etwa die Fähigkeit zu laufen, zu sprechen und von der Vernunft Gebrauch zu machen. Adam und Eva befanden sich im Paradies in Gemeinschaft mit Gott und besaßen die heiligmachende Gnade, die jedoch durch den Sündenfall wieder verloren ging. Dies darf man sich aber nicht so vorstellen, dass die heiligmachende Gnade ursprünglich einen Bestandteil der Menschennatur darstellte und die menschliche Natur durch den Sündenfall dergestalt verwundet wurde, dass sie die heiligmachende Gnade verlor. Dieser Irrtum der Jansenisten und Bajanisten wurde von der Kirche dezidiert zurückgewiesen, indem etwa Pius V. in der Bulle Ex omnibus afflictibus 1567 folgende These exemplarisch verurteilte: „Die Erhebung und Erhöhung der menschlichen Natur zur Teilhabe an der göttlichen Natur war der Unversehrtheit des Urzustandes geschuldet und muss deshalb natürlich und nicht übernatürlich genannt werden“ (Satz 21).6

Die katholische Lehre besagt dagegen, dass auch der von der Erbsünde unversehrte Mensch nicht von Natur aus die heiligmachende Gnade besitzt, sondern diese nur als übernatürliches Gnadengeschenk Gottes erlangen kann, obgleich er eine natürliche Empfänglichkeit für das Übernatürliche besitzt (die potentia oboedientialis). Adam und Eva besaßen zwar von Anfang an die heiligmachende Gnade und zudem die sogenannten präternaturalen Gaben (beispielsweise die leibliche Unsterblichkeit), aber hierbei handelte es sich nicht um ihren Naturzustand, sondern um eine ungeschuldete Erhöhung ihrer Daseinsbedingungen durch die göttliche Gnade.7 Der im Naturzustand befindliche Mensch, der weder von der Erbsünde verwundet ist noch über die heiligmachende Gnade verfügt, könnte nach seinem Tod, auch wenn er in seinem Leben keine einzige Sünde begangen hat, nicht in den Himmel kommen, sondern lediglich einen Zustand der natürlichen Glückseligkeit erlangen, welcher in der Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse und der vollen Verwirklichung des natürlichen Potenzials besteht8: Da der Besitz der heiligmachenden Gnade nichts anderes bedeutet als die Teilhabe an der göttlichen Natur, kann sie ihrem Wesen nach nicht die natürliche Bestimmung des Menschen oder irgendeines Geschöpfes sein, sondern ausschließlich eine übernatürliche Berufung.

Diese klare Unterscheidung von Natur und Übernatur wurde von der sogenannten Nouvelle Théologie, der Vorläuferin des Ökumenismus, und ihrer Theorie des Immanentismus verwischt. Henri de Lubac vertritt in seinem Hauptwerk „Surnaturel“ die bereits von Maurice Blondel angedeutete Auffassung, das Übernatürliche sei kein unverdientes Geschenk, sondern ein Erfordernis der menschlichen Natur, ohne welches sich der Mensch in einem anormalen Zustand befinde.9 Diese Naturalisierung des Übernatürlichen wurde von der Kirche jedoch zurückgewiesen: „Wiederum müssen Wir hier laut klagen, dass unter den Katholiken sich Leute finden, die zwar die Lehre der Immanenz als Lehre zurückweisen, sie aber für die Apologetik benutzen, und zwar so unvorsichtig, dass sie der menschlichen Natur nicht nur die Fähigkeit und Empfänglichkeit für die übernatürliche Ordnung zusprechen – das haben katholische Apologeten stets nach Zweckmäßigkeitserwägungen erwiesen –, sondern eine wirkliche Forderung daraus machen“ (Pius X., Enzyklika Pascendi Dominici gregis, 1907, Nr. 37).10 Die These, dass die heiligmachende Gnade in der menschlichen Natur angelegt sei, hat dramatische Konsequenzen für die Grundwahrheiten des katholischen Glaubens: Die Aufgabe der Kirche bestünde in diesem Falle nicht mehr darin, dem Menschen die heiligmachende Gnade als Frucht des Erlösungsopfers Christi zuzuwenden, sondern das übernatürliche Heil wäre im Menschen als Teil seiner Natur bereits angelegt und müsste lediglich aktualisiert und zum Vorschein gebracht werden. In seiner radikalen Ausprägungsform führt der Immanentismus somit letztlich zur Leugnung der Erbsündenlehre, zur Leugnung des Sühneopfers Christi und zur Leugnung der Heilsnotwendigkeit der Kirche.

Die Theologie des Konzilstheologen Karl Rahner und jene Karol Woityłas, des späteren Papstes Johannes Paul II., kann als eine christologische Variante des Immanentismus bezeichnet werden: Die Menschennatur erlangt ihre übernatürliche Dimension durch die Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in der Menschwerdung Christi. Nach traditioneller Lehre hat Christus durch sein Sühneopfer die Wiederversöhnung der Menschheit mit Gott im Grundsatz vollzogen und damit eine objektive universale Erlösung bewirkt. Diese muss jedoch dem einzelnen Menschen noch in der Rechtfertigung als einem Akt der subjektiven Erlösung zugeeignet werden, welcher die freie Annahme durch das Individuum voraussetzt. Nach Wojtyła dagegen hat durch die Inkarnation Christi „der Mensch eine neue Dimension seines Daseins erhalten, die von Paulus kurz und bündig ‚Sein in Christus‘ genannt wird“, „unabhängig davon, ob der Mensch dies weiß oder nicht“.11 Dieses „Sein in Christus“ wird nach Wojtyła der gesamten Menschheit quasi rückwirkend, also auch den Menschen, die vor Christus lebten, verliehen, weshalb das Sühneopfer Christi auch ohne Wissen und Zustimmung des Einzelnen seine erlösende Wirkung individuell entfaltet: „Die menschlichen Kategorien von Raum und Zeit sind fast ganz nebensächlich. Alle Menschen seit dem Beginn und bis zum Ende der Welt sind von Christus durch sein Kreuz erlöst und gerechtfertigt worden.“12

Wenn jeder Mensch von Anfang an das „Sein in Christus“ besäße, dann umfasste die Kirche Christi die gesamte Menschheit und die katholische Kirche hätte den Nichtgläubigen nicht etwa die heiligmachende Gnade voraus, sondern lediglich das Wissen um den Status der Erlösung – die Nichtgläubigen wären dagegen „anonyme Christen“, wie Rahner formuliert: „Gott und Christi Gnade sind in allem als geheime Essenz aller wählbaren Wirklichkeit […]. Wer darum (auch noch fern von jeder Offenbarung expliziter Wortformulierung) sein Dasein, also seine Menschheit annimmt […], der sagt, auch wenn er es nicht weiß, zu Christus Ja.“13 Die missionarische Aufgabe der Kirche bestünde dann nicht mehr darin, die heiligmachende Gnade zu vermitteln, sondern nur noch darin, den Menschen das bereits feststehende Faktum der Erlösung bewusst zu machen14: „Die Predigt ist die ausdrückliche Erweckung dessen, was schon in der Tiefe des Menschenwesens da ist, nicht von Natur, sondern von Gnade. Aber als eine Gnade, die den Menschen, auch den Sünder und Ungläubigen, immer als unentrinnbarer Raum seines Daseins umfängt.“15

Auf diese Weise wird die Heilsnotwendigkeit der Kirche nicht wie im radikalen Immanentismus geleugnet, sondern die Kirche als Gemeinschaft der durch Christus Erlösten wird derart über die sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche ausgedehnt, dass sie mit der gesamten Menschheit identisch wird: „Dadurch, dass das Wort Gottes Mensch geworden ist, ist real ontologisch die Menschheit auch schon im Voraus zur faktisch gnadenhaften Heiligung der einzelnen Menschen, zum Volk der Kinder Gottes geworden.“16

Nachdem die Grundzüge der Nouvelle Théologie dargelegt wurden, ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, in welchem Maße die Prinzipien der ökumenistischen Allerlösungslehre in die lehramtlichen Dokumente der Kirche, insbesondere in die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils eingeflossen sind.

Während die Aussagen des Konzils über die Religionsfreiheit einen klaren Widerspruch zur traditionellen Lehre darstellen, welcher von den Verfassern offen zugegeben wird, finden sich hinsichtlich des Ökumenismus keine derart eindeutigen Brüche: Die Konzilstexte enthalten Passagen, welche in vollständigem Einklang mit der Überlieferung stehen, während man bei anderen Stellen Elemente der Allerlösungstheologie „zwischen den Zeilen“ herauslesen kann. Diese Diagnose entspricht auch der Strategie der Konzilstheologen um Karl Rahner, welche durch mehrdeutige Formulierungen versteckte Einbruchstellen für die Nouvelle Théologie in den Konzilstexten platzieren wollten, um diese nach Ende des Konzils in ihrem Sinne auszulegen: „Manches musste sicherlich in den Jahren vor dem Konzil […] und in den beiden ersten Konzilssessionen zurückhaltend, beinahe verklausuliert formuliert werden, wenn man die – möglichst einmütige – Zustimmung zum Ganzen erreichen wollte. Dabei ist es in der Formulierung gelungen, Türen zu Entwicklungen offen zu halten, für die auch in der letzten Konzilssession sicherlich keine Zweidrittelmehrheit erreichbar gewesen wäre.“17

Zu den Passagen, welche die traditionelle Auffassung bestätigen und der Gerechtigkeit halber nicht verschwiegen werden sollen, gehört das Bekenntnis zur Heilsnotwendigkeit der Kirche und der Taufe in der Konstitution Lumen gentium: „Gestützt auf die Heilige Schrift und die Tradition, lehrt [die Heilige Synode], dass diese pilgernde Kirche zum Heile notwendig sei. Christus allein ist Mittler und Weg zum Heil, der in seinem Leib, der Kirche, uns gegenwärtig wird; indem er aber selbst mit ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe betont hat (vgl. Mk 16,16; Joh 3,5), hat er zugleich die Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Türe eintreten, bekräftigt. Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten.“18 Das Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes ergänzt hierbei, dass „Gott Menschen, die das Evangelium ohne ihre Schuld nicht kennen, auf Wegen, die er weiß, zum Glauben führen kann“19 – eine Formulierung, die als Bezugnahme auf die traditionelle Lehre von der Begierdetaufe angesehen werden kann.

Die Erklärung Nostra aetate stimmt dagegen einen Lobgesang auf die nichtchristlichen Religionen an: „So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck und suchen durch aszetische Lebensformen oder tiefe Meditation oder liebend-vertrauende Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge und Beschränktheit unserer Lage. In den verschiedenen Formen des Buddhismus wird das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt anerkannt und ein Weg gelehrt, auf dem die Menschen mit frommem und vertrauendem Sinn entweder den Zustand vollkommener Befreiung zu erreichen oder – sei es durch eigene Bemühung, sei es vermittels höherer Hilfe – zur höchsten Erleuchtung zu gelangen vermögen. […] Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. […] Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim[e], die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat.“20 Auch wenn es sich hier eindeutig um euphemistische Beschreibungen handelt, ist die Feststellung, dass es in anderen Religionen gewisse Überschneidungen hinsichtlich der Glaubensinhalte und der Ethik mit dem Christentum geben kann, an sich nicht falsch. Das Dokument verschweigt jedoch vollkommen, dass das Seelenheil einzig und allein von der Teilhabe am Sühneopfer Christi abhängt und die Ähnlichkeiten der falschen Religionen mit dem Christentum – mögen sie auch noch so groß sein – diese noch lange nicht zu einem eigenen Heilsweg machen.

Dieser Charakter als eigenständiger Heilsweg wird im Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio irrigerweise den von der katholischen Kirche getrennten Gemeinschaften zugesprochen: „Ebenso sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften trotz der Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Heilige Geist hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen“.21 Zwar vermittelt der Heilige Geist aufgrund des allgemeinen Heilswillens Gottes jedem schuldlos Ungläubigen hinreichende aktuelle (helfende) Gnade, um ihn zur Annahme des Glaubens, zur Verrichtung von Heilsakten und damit zur Erlangung der habituellen (heiligmachenden) Gnade zu befähigen, aber, wie Erzbischof Lefebvre in seiner Intervention auf dem Konzil zusammenfasste: „Eine Gemeinschaft kann, insoweit sie eine von der katholischen Kirche getrennte Gemeinschaft ist, nicht den Beistand des Heiligen Geistes genießen, da ihre Trennung ein Widerstand gegen den heiligen Geist ist. Dieser kann nur direkt auf die Seelen wirken oder Mittel gebrauchen, die von sich aus kein Zeichen der Trennung aufweisen.“22

In besonderem Maße aber hat die Nouvelle Théologie Eingang in eine zentrale Passage der Konstitution Gaudium et spes gefunden: „Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung. […] Da in ihm die menschliche Natur angenommen wurde, ohne dabei verschlungen zu werden, ist sie dadurch auch schon in uns zu einer erhabenen Würde erhöht worden. Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt.“23 Die Inkarnation Christi wird bereits unabhängig vom subjektiven Akt der Rechtfertigung als Erhebung der Menschennatur auf den Status des Übernatürlichen begriffen, und die Offenbarung der göttlichen Liebe durch das Leben und Leiden des Herrn hat lediglich die demonstrative Funktion, dem Menschen diesen in ihm bereits angelegten Status des Erlöstseins bewusst zu machen, also „dem Menschen den Menschen selbst“ kundzutun. Die notwendigen Konsequenzen dieser These für die Ekklesiologie werden in Lumen gentium gezogen: „Diese Kirche […] ist verwirklicht [subsistit in] in der katholischen Kirche […]. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“24 Die Kirche als mystischer Leib Christi wird durch die berühmte Formulierung „subsistit“, welche auf den Vorschlag eines Protestanten hin gewählt wurde, absichtlich über die sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche hinweg ausgedehnt, während der ursprüngliche Entwurf die Formulierung „est“ und somit die Identität von Kirche Christi und katholischer Kirche vorsah. Ein solches Auseinanderfallen von „Kirche Christi“ und „katholischer Kirche“ entspricht dem Kerngedanken der Allerlösungstheorie, dass durch die Menschwerdung Christi die Menschennatur mit der göttlichen Natur dergestalt vereinigt worden sei, dass die Kirche letztendlich die gesamte Menschheit umfasse.

Es ist nicht verwunderlich, dass die versteckten Samenkörner der Allerlösungslehre gerade während des Pontifikats Johannes Pauls II. überreichlich aufgingen und im Weltgebetstreffen von Assisi deutlich zutage traten. Die Vereinigung Christi mit der ganzen Menschheit durch die Menschwerdung ist das zentrale Leitmotiv seiner drei wegweisenden Enzykliken Redemptor hominis, Dives in misericordia und Dominum et vivificantem25. Die Aufgabe der Kirche wird nicht darin gesehen, der Menschheit die Erlösung zuzuwenden, sondern sie über den bereits vorhandenen Status des Erlöstseins aufzuklären: „Die grundlegende Aufgabe der Kirche in allen Epochen und besonders in der Unsrigen ist es, den Blick des Menschen, das Bewusstsein und die Erfahrung der ganzen Menschheit auf das Geheimnis Christi zu lenken und auszurichten, allen Menschen zu helfen, mit dem tiefen Geheimnis der Erlösung, die sich in Jesus Christus ereignet, vertraut zu werden.“26

Die Theologie der Allerlösung erscheint auf den ersten Blick als willkommene Antwort auf die Frage, wie die Verdammnis zahlloser Seelen mit dem Glauben an einen barmherzigen Gott in Einklang zu bringen sei. Die Vorstellung einer die gesamte Menschheit umfassenden Erhöhung der menschlichen Natur durch die Inkarnation mag dem Erlösungswerk Christi auf den ersten Blick eine Erhabenheit und eine Universalität verleihen, welche die traditionelle Lehre von der Heilsnotwendigkeit der katholischen Kirche, der Taufe und der Sakramente als kleinlich und allzu menschlich erscheinen lassen. In Wirklichkeit aber ist die Idee einer menschheitsumfassenden Allerlösung eine Flucht vor der ungeheuren Verantwortung, die darin besteht, dass von unserem persönlichen Zeugnis, unserem Missionseifer und unserem Beispiel als Katholiken das ewige Heil unseres Nächsten abhängen kann. Sie ist eine Flucht vor der erschreckenden Tatsache, dass wir uns in diesem irdischen Leben in eigener Verantwortung entscheiden müssen, ob wir am Erlösungsopfer Christi teilhaben wollen oder ob wir das Gnadengeschenk Gottes zurückweisen. Sie ist eine Flucht vor der eigenen menschlichen Freiheit, letztendlich vor der eigenen Gottesebenbildlichkeit, wenn wir die Augen davor verschließen, dass die scheinbar unbedeutenden Handlungen in unserem Erdendasein Folgen haben für die ganze Ewigkeit.

Anmerkungen

1 Ott, Ludwig: Grundriss der Dogmatik. Bonn (nova & vetera) 112010, S. 490 f.

2 Ott, Grundriss der Dogmatik, S. 438.

3 Denzinger, Heinrich / Hünermann, Peter (DH): Kom­pendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Freiburg (Herder) 43 2010, vgl. Nr. 2866 ff.

4 DH, Nr. 2867.

5 DH, Nr. 2917.

6 DH, Nr. 1921; vgl. Nr. 2434 f.

7 Ott, Grundriss der Dogmatik, S. 163 ff.

8 vergleichbar mit den ungetauften Kindern, welche sterben, ohne eine persönliche Sünde begangen zu ha­ben, und nach traditioneller Lehre in den limbus infan­tium gelangen, einen Ort der Gottesferne, aber der na­türlichen Glückseligkeit

9 Spadafora, Francesco (Vorwort): Die Neue Theologie. Sion (Verlag les Amis des St. François de Sales) 1995, S. 49, 67, 183 ff.

10 zitiert nach www.kathpedia.com

11 Woityła, Karol: Zeichen des Widerspruchs – Besin­nung auf Christus. Freiburg/Einsiedeln (Herder/Ben­zinger) 31979, S. 108 f.; vgl. Dörmann, Johannes: Der theologische Weg Johannes Pauls II. zum Weltgebetstag der Religionen in Assisi. Band I: Vom Zweiten Vatika­nischen Konzil bis zur Papstwahl. Senden/Westf.(Sitta Verlag) 1990, S. 62 (Neuausgabe: Johannes Paul II. Sein theologischer Weg zum Weltgebetstag der Religionen in Assisi. Stuttgart (Sarto Verlag) 12011, S. 70).

12 Woityła, Zeichen des Widerspruchs, S. 103; Dör­mann, Der theologische Weg Johannes Pauls II., Band I, S. 66 (S. 74).

13 Rahner, Karl: Zur Theologie der Menschwerdung, in: Derselbe: Schriften zur Theologie, Bd. 4, Einsiedeln/Zürich/Köln (Benzinger) 1960, S. 154.

14 Dörmann, Der theologische Weg Johannes Pauls II., Band I, S. 86 (S. 94), 92 f. (S. 100 f.).

15 Rahner, Karl: Natur und Gnade, in: Derselbe: Schrif­ten zur Theologie, Bd. 4, Einsiedeln/Zürich/Köln (Ben­zinger) 1960, S. 229.

16 Rahner, Karl: Die Gliedschaft in der Kirche nach der Enzyklika Pius‘ XII. „Mystici Corporis Christi“, in: Der­selbe: Schriften zur Theologie, Bd. 2, Einsiedeln/Zürich/Köln (Benzinger) 21960, S. 89.

17 Emil Joseph Lengeling, in: Liturgisches Jahrbuch, Bd. 20/1970, S. 29.

18 Lumen gentium, Nr. 14, in: Rahner, Karl / Vorgrim­ler, Herbert: Kleines Konzilskompendium. Freiburg (Herder) 352008, S. 139.

19 Ad gentes, Nr. 7, in: Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, S. 616.

20 Nostra aetate, Nr. 2 f., in: Rahner/Vorgrimler, Klei­nes Konzilskompendium, S. 356 f.

21 Unitatis redintegratio, Nr. 3, in: Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, S. 233.

22 Lefebvre, Marcel: Fünfte Intervention – November 1963: Zu dem Schema über den Ökumenismus und sei­nen Anhang über die Religionsfreiheit. In: Derselbe: Ich klage das Konzil an! Stuttgart (Sarto) 2009, S. 38 f.

23 Gaudium et spes, Nr. 22, in: Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, S. 468 f.

24 Lumen gentium, Nr. 8, in: Rahner/Vorgrimler, Klei­nes Konzilskompendium, S. 131.

25 vgl. hierzu das gerade vom Sarto-Verlag neu heraus­gegebene umfangreiche Werk von Dörmann, Johannes: Johannes Paul II.: Sein theologischer Weg zum Weltge­betstag der Religionen in Assisi. Stuttgart (Sarto Verlag) 12011.

26 Enzyklika Redemptor hominis, 1979, Nr. 10, in: Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 6, Bonn 1979, S. 19.